Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)
hausten gleich zwei Leute, die gar nicht zusammengehörten – die Magd Frieda, ein altes, furchtbar verhutzeltes Weiblein, das nicht ganz richtig im Kopf war, und der vierzehnjährige, gerade im Stimmbruch befindliche Hirtenbub Sepp. Dazu auf der oberen Etage, in der sogenannten Knechtskammer, Ewa und Tomasz, Fremdarbeiter aus Polen, mit ihrem Baby und Ewas zehnjähriger Schwester Katarzyna.
Neun Menschen, zu denen wir sieben Evakuierte dazukamen, beinahe doppelt so viele Bewohner wie vorher. Wobei Mutter oft verschwand, denn sie musste in Freiburg auf unser Haus aufpassen. Dort war nämlich die Polizei eingezogen. Sie müsse verhindern, dass Geschirr und andere Dinge «Beine kriegen». Tante Liesel war in diesen Zeiten unsere Ersatzmutter, und ich richtete es so ein, dass ich möglichst wenig mit ihr zu tun hatte.
Kein schlechter Platz für mich, dieser Hof. Im Herzen befand sich die Küche, kohlschwarz war sie, das einzige kleine Fenster war von fettem Ruß verkleistert. Zum ersten Mal erlebte ich die altertümliche Form des offenen Feuers. Fließendes Wasser gab es nicht, nur einen steinernen Ausguss. Steinern war auch der Herd, der Boden bestand aus großen holprigen Steinplatten. An zwei Wänden große viereckige Löcher mit Türen, die Öffnung zu den Stubenöfen. Mit dem Kartoffeldämpfer fürs Schweinefutter waren es insgesamt fünf Feuerstellen, vor jeder lag ein Haufen Holz gestapelt.
Natürlich mussten wir mithelfen. Kaum eine Woche nach unserer Ankunft war Schlachttag. Ich war noch halb im Tran von der Reise und saß gerade frierend auf der Ofenbank, als Mina eine flache Tonschale vor mich hinstellte. «Da!» Ich solle mit der Hand darin rühren, immer schön gleichmäßig. Ich tat es, ohne jede Ahnung, was ich da rührte, die Flüssigkeit war warm und klumpte ein wenig. «Blut!», schrie mein Bruder, der gerade in die Küche gekommen war. «Blut an der Hand!»
Wo war der Hitler geblieben? Sosehr ich mir später mein Hirn darüber zermartert habe, mir fiel nichts ein. Auf dem Einödhof gab es ihn nicht, niemand hier sprach von Hitler, weder die Bauern noch die Gäste aus der Stadt. Ein einziges Mal nur tauchte er kurz auf. Wir Kinder haben einem Schneemann einen Schnauzbart gemacht, aus vergammeltem Moos – um genau zu sein: Ich war es –, und ihm die Soldatenmütze eines Fronturlaubers aufgesetzt. Mittels eines Steckens, den wir abwechselnd in Wasser und Schnee tauchten, bekam er einen Arm und eine dicke Hand, die er vorschriftsmäßig zum deutschen Gruß in Stirnhöhe erhob. Meine fanatische Tante Liesel war mächtig stolz auf uns. Anderntags jedoch hatte jemand meinen harmlosen Schnäuzer durch einen entsprechend kurzen, geraden, schwarzen Bart ersetzt, und er hatte einen Eimer auf dem Kopf. Zuletzt wurde es ganz verrückt, plötzlich waren überall gelbe Flecken um den Schneehitler herum. Wer war es? Männer natürlich. Viele gab es ja nicht im Haus, den lahmen Andres, Tomasz, Onkel Herbert, der Pantoffelheld, dann noch die zwei Buben Sepp und Peter. Besoffene Nachbarn vielleicht? Tante Liesel schäumte. «Schneemann sofort zerstören!», befahl sie. Fort war es, das Gespenst. Wichtig hier war nur der Alltag. Der Tag, jede Stunde, immer etwas Neues, so schnell hab ich armes Holzauge nie lernen müssen.
Plumpsklo, brrr, ein einziges, weit weg. Man musste einmal um das ganze Haus herum, zu der Bretterkiste, die an die hintere Außenwand geklebt war. Kaum hatte ich mich daran gewöhnt, jammerte die alte Frieda, es ginge nicht, sechzehn Menschen und nur ein Klo. Deshalb bekamen die Kinder Weisung, klein nur im Freien zu machen, hinter dem Ginster am Sauhaus, dem am weitesten entfernten Stall, der den Hof nach Osten hin abschloss.
«Du.» Viel mehr sagten unsere Gastgeber nicht zu uns. «Du, komm mit.»
Wir Kinder gehörten zum Personal. Wenn Andres, der Bauer, in den Wald fuhr, mussten Peter und ich und die Cousinen mit. Er blieb auf dem Wagen mit seinen Krücken, und wir rechten das Laub zusammen, oft mussten wir den Schnee darüber erst abtragen. Aufladen war das Schwierigste für mich, das Laub flog nämlich leicht davon. Es wurde später in den Laubschopf, einen überdachten Übergang zwischen dem großen und dem kleinen Stall, getragen. Die vielen Blätter wurden als Streu gebraucht, für die Kühe hauptsächlich. In der hohen Lage gedieh das Getreide nicht, nur Hafer und etwas Gerste, deswegen hatte man kein Stroh.
Viel Zeit brauchte man fürs Holz. Herr des Holzplatzes war Tomasz, er war
Weitere Kostenlose Bücher