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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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er floh vor mir, stolperte dabei über den Spaten und übergab sich im Gebüsch. Wir lachten und machten weiter. Beim Meerrettich-Abräumen waren wir, ein ziemlich mühsames Geschäft. Der Unverwüstliche wucherte in unserem Garten seit Urzeiten, mindestens seit zwei Generationen vermutlich, vor sich hin und breitete sich mit unverschämtem Selbstbewusstsein immer weiter aus. Mit seinem Spaten grub Konrad, so tief er konnte, ins Erdreich, und ich habe den Pfahlwurzeln nachgespürt, mit Leibeskräften an ihnen gerissen, mit den Händen die ganze unterirdische Welt durchpflügt. Stück für Stück bugsierten wir sie gemeinsam heraus. An den Bruchstellen trat der typische scharfe Geruch aus und biss uns in die Nase. Es war wirklich und wahrhaftig zum Kotzen.
    Ohne Konrads Nähe konnte ich mir das Leben nicht mehr vorstellen. In diesem Mai, 1962, hatte ich ihm das Signal gegeben: «Du, wir können es jetzt riskieren, ein Kind zu kriegen. Die Stürme sind vorüber.» Schluss mit der Tabellenführung, wir lassen der Liebe ihren Lauf.
    «Sag doch was, Konrad!»
    «Joooooooo!»
    Anscheinend hatte er darauf schon gewartet. In der Woche nach dem Meerrettich-Ausmachen hatte ich einen Termin beim Arzt und teilte diesem mit, mein Mann und ich hätten damit angefangen, ernsthaft ein Kind zu zeugen. «Na ja, Frau Weingartner», sagte er nach der Untersuchung, «es ist schon so weit. Es wird ein Januarkind werden.»
    Es wird ein Sohn, dachte ich.
    Unsere Freude war groß und still. In jenem Sommer und Herbst haben Konrad und ich kaum miteinander gesprochen und uns viel umarmt. Ich ließ meinen Bauch wuchern, spielte im Dorf, nachdem es für alle sichtbar geworden war, die unbekümmerte, aufgeklärte junge Frau.
    Für ein paar Tage fuhr ich nach Freiburg, im Juni muss es gewesen sein, es war nämlich Glühwürmlezeit. Lange hatte ich meine Familie nicht gesehen, Mutter freute sich über die frohen Nachrichten und begleitete mich beim Stadtbummel. Zwei Umstandskleider kaufte ich, beide kariert, eines mit viel Grün und einem weißen Piqué-Kragen, das andere blaugrün. Zweimal in dieser Zeit sind wir miteinander in den Sternwald gelaufen, Glühwürmle gucken. Einzelne Tiere mit ihren Laternen konnte ich nicht erkennen, nur wenn sie zufällig sehr nahe gekommen sind, dann war da ein schwankender Lichtpunkt. Aber die phosphoreszierende Wiese habe ich gesehen, Tausende Glühwürmle trafen sich hier zur Paarung, ein hellgrünes intensives Leuchten, wie in meiner Kindheit. Ich – an Mutters Hand.
    Wie immer in dieser Jahreszeit betrieb Konrad seine Schule relativ leger. Er achtete darauf, dass er den Stoff bis Ostern mehr oder weniger durchhatte, im vierten Quartal ging er mit den Kindern viel ins Freie. Lehr-Gang nannte er es. «Wir sind auf dem Lehr-Gang!», wurde an die Tafel geschrieben, für den Fall, dass der Schulrat unangemeldet kommen sollte. Dann sind sie ins Wäldle reingelaufen, haben hier fünf Grenzsteine angeguckt und dort ein Kreuz am Wegrand. Auf jedem der nahen Schwarzwaldbuckel sind sie im Laufe der Jahre mal gewesen. Mal wanderten sie bergab ins Kirchdorf, zum Friedhof. «Wo liegt deine Gotti?» Jedes Kind musste die Gräber seiner Familie finden. Im Juli ging Konrad in die kühle Kirche, ließ sich die Sakristei aufschließen und zeigte Messgewänder und Altargeräte. Hitzefrei gab er ungern, die Kinder heimzuschicken hätte bedeutet, dass sie aufs Feld müssen. «Kommt, wir nehmen unsere Lesebücher und setzen uns ans Bächle.»
    In den Sommerferien 1962 besuchte Konrad die Fahrschule. Wir wollten einen Volkswagen kaufen, zu dritt auf dem Moped würde nicht gehen. Beim ersten Mal fiel er durch die Prüfung, mit Karacho.
    Mein Kind regte sich. Ende September fing es an zu strampeln, und ich habe meine Hände um den Leib gelegt und so richtig genussvoll gesagt: «Wart noch ein wenig, bald darfst du raus!» Auf dem Sofa liegend, hab ich Musik mit ihm gehört, Beethoven, Edith Piaf, oder ich hab Foxtrott getanzt im großen Wohnzimmer. Damals wurde sehr viel über Erziehung gesprochen. Ich hab etwa zehn Kilo Babybücher gelesen, manches war lehrreich, das meiste davon erschien mir nicht wichtig, jeder Furz wurde da seitenweise kommentiert. Die Schwangerschaft nicht als Last empfinden, hieß es, das leuchtete mir ein. Reden mit dem Kind, ihm etwas Liebes sagen, das tat ich sowieso. «So, jetzt geh ich mit dir in den Garten und ess Himbeerle.» Im Laufe der Monate war immer was Neues zu erzählen. «Du, ich richte gerade

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