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Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition)

Titel: Magdalenas Blau: Das Leben einer blinden Gärtnerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Lachauer
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Weingartner, schreiben Sie uns bitte einen Bericht über den Weidebetrieb. Unsere Leser interessieren sich besonders für die neuen elektrischen Weidezäune.» Regelmäßig brachte der Briefträger die Themenwünsche der Redaktion. Erntedank, Kanalisationsarbeiten. Der Nikolaus kommt in die Schule, «das darf ruhig ein wenig länger sein». Konrad war das fürchterlich lästig, und er gab es an mich weiter. «Du kannst das viel besser, Magdalena.» Mit Freuden packte ich meine seit anderthalb Jahren kaum benutzte Olympia-Schreibmaschine aus.
    Eine neue Aufgabe! Sorge machte mir anfangs vor allem das Recherchieren. Beim fünfundsiebzigsten Geburtstag des Gastwirtes konnte ich einfach dabeisitzen, das war ein Kinderspiel. Von den Gästen schnappte ich alles Nötige auf, Daten, zwei, drei Anekdoten, die Passionen des Jubilars. Zusammengefasst in dreißig Zeilen – für jemanden, der mal aus dem dreistündigen Gestammel eines Postbeamten einen Brief formuliert hat, kein Problem. Glückwunsch nicht vergessen: «Mögen ihm noch viele Jahre die Viertele gut bekommen und er noch lange seinen trockenen Schwarzwälder Humor behalten.»
    Schwieriger waren Themen wie «Das Jagdglück des Forstwartes». Den Keiler, den er zur Strecke gebracht hatte, konnte ich nicht sehen, ebenso wenig den Schaden, den der Schwarzkittel und seine Kumpane zuvor auf den Feldern angerichtet hatten. Da musste ich viel herumrennen und Fragen stellen. Wo, wann, wie? Blattschuss, Kopfschuss, der Verlauf der Wildwechsel rund um Tonberg. Aus den Antworten wurde mir unter anderem klar, dass ich nur eine äußerst vage Vorstellung von diesem Tier hatte. Anscheinend sah es nicht, wie ich bis dahin dachte, wie ein schwarz gefärbtes Hausschwein aus.
    In anderer Weise kompliziert waren die Kulturabende alle paar Wochen im Gasthaus. Bei einem Farblichtbilder-Vortrag über den Gardasee konnte ich nur hoffen, dass der Referent die Dias möglichst anschaulich mit Worten beschrieb und das Echo im Saal lebhaft war, aus Halbsätzen und Seufzern ließ sich manche Geschichte fertigen. Gelegentlich zeigte die Frau des Rennfahrers Filmchen über die Autorennen ihres Mannes in Brasilien oder Kanada. «Leider ohne Ton», wie sie bedauerte, weshalb sie in ihrem Kommentar ab und zu ein «ssssst, ssssst» einfügte. Autos, die immerzu im Kreis fahren, was sollte ein vernünftiger Mensch darüber berichten?
    Ein wahrer Albtraum waren Spielfilme, besonders Krimis. An einem Abend kurz vor Allerheiligen, erinnere ich mich gut, lief Hitchcocks «Der Mann, der zu viel wusste». Ein englisches Ehepaar im Menschengewimmel von Marrakesch, das kriegte ich anfangs noch mit. Jemand wird erstochen, ein Franzose. Oder fast erstochen? Wieso sind all die Leute auf einmal in London? Ich habe Blut und Wasser geschwitzt, ich verstand nichts mehr, rein gar nichts. Und dann plötzlich stockte die Vorführung. Die restlichen Filmrollen, hieß es, seien leider noch unterwegs. Jemand sollte sie hochbringen aus dem Kirchdorf, wo derselbe Film ebenfalls gezeigt wurde, nur zwei Stunden früher. So ging das bei den Wanderkinos damals, die hatten eine Kopie, sagen wir mit fünf Rollen, und bespielten damit zwei benachbarte Orte. Sobald in A zwei Rollen durch waren, raste ein Kurier mit ihnen nach B, und wieder zurück nach A, die nächsten holen. An diesem Abend hatte er eine Panne – und ebendas war meine Rettung! Über diese Panne würde ich schreiben, den Mann, der schwitzend sein Moped den Berg hochschiebt, derweil die Wartenden im verqualmten Gasthaus palavern. Der erste Krimi auf dem Dorf würde mein Thema sein, «voller Rätsel und so schnell, dass kaum jemand folgen konnte». Kurz vor Mitternacht die letzte Rolle, das Happy End haben alle verstanden, selbst ich. Die Hauptheldin sang ein Kinderlied mit dem Refrain «Keeserasera», und ihr entführter Sohn tauchte wieder auf. «Keeserasera ist ein Ohrwurm», schrieb ich, «der die Zuschauer in die dunkle Nacht begleitete und noch viele Tage danach.» Spanisch, vermutete ich. «Keeserasera». Italienisch vielleicht? Dem Redakteur schrieb ich, er möge «das Fremdwort unbedingt überprüfen. Mit freundlichen Grüßen – Ihr Konrad Weingartner».
    «K.W.» hat als Kürzel unter meinen Artikeln gestanden. Offiziell war Konrad Weingartner der Autor. Mir war das egal, ein Mann war eben in den Kreisen, in denen ich lebte, respektierter als eine Frau. Zugleich fühlte ich mich dadurch beschützt, niemand würde mich angreifen, anzweifeln, ob ich das

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