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Magdalenas Garten

Titel: Magdalenas Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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den Gedanken faszinierend, auf denselben Pflastersteinen zu stehen, auf denen auch Napoleon einst gestanden hatte, am liebsten würde sie sich mit einer Zeitmaschine in diese Zeit zurückversetzen lassen, um dabei zuzuschauen, womit die Menschen damals so den ganzen Tag beschäftigt waren.
    Â»Wir müssen ganz nach oben, die Stufen rauf«, sagte Evelina und zeigte auf eine breite, steil ansteigende Treppenstraße zwischen den Häusern.
    Â»Guck mal, wer da ist!«, sagte Magdalena und versuchte, nicht allzu auffällig in Richtung des blinden Bürgermeisters zu
schauen, der jetzt aus dem hohen Torbogen des Palazzo Comunale trat. Er war in Begleitung von zwei Männern, deren Gesichter ebenfalls durch dunkle Sonnenbrillen halb verdeckt waren. Entspannt miteinander plaudernd, ging das Trio auf dem buckligen Kopfsteinpflaster Richtung Hafen hinunter.
    Â»Sieht man gar nicht, dass er nicht sehen kann«, sagte Evelina, »wie der das wohl macht, der kann nichts lesen, nichts schreiben …«
    Â»Er hat bestimmt jemanden, der das für ihn erledigt, und vielleicht gibt es ja auch Computer, die einem die Mails vorlesen.«
    Â»Aber ich stelle es mir ziemlich blöd vor, morgens vor dem Spiegel zu stehen und nicht zu wissen, wie gut man aussieht.« Evelina kicherte. Magdalena wusste nicht genau, warum, aber sie hätte sie am liebsten dafür geschlagen.
    Â»Denn gut sieht er ja irgendwie aus, oder? Finde ich unheimlich, bei Blinden habe ich immer das Gefühl, die können was ganz Verborgenes in mir sehen, was sonst keiner sieht … Also los jetzt«, stöhnte das dicke kleine Pandabärweibchen, als es die erste Stufe betrat, »das wird anstrengend, aber für Marco da oben würde ich auch noch weiter klettern. È grande lui! «
    Aber sicher, bei Evelina waren fast alle Männer groß, toll, stark, super. Grande eben.
    Â»Da drüben hängt ja auch wieder eins von deinen Fotos«, rief sie und schnaufte schon leicht, »wo habt ihr die denn überall verteilt?«
    Â»Ãœberall eben«, gab Magdalena zurück. Der Bürgermeister von Portoferraio stand im Ruf, alle nicht genehmigten Aushänge abreißen zu lassen. Sie hatten darum doppelt so viele wie in anderen Orten aufgehängt. Sie seufzte, der große, tolle, starke Super-Marco würde natürlich nicht ihr Vater sein. Und wenn doch? Die Wahrscheinlichkeit war jedenfalls höher, als im Lotto
zu gewinnen, und das spielten viele Leute trotzdem jede Woche.
    Er ist es, er ist es nicht, zählte Magdalena, rechts und links säumten weiße Oleanderbüsche in großen Tontöpfen die flachen Stufen. Er ist es nicht, sie betraten keuchend die letzte Stufe … er ist es.
    Â 
    Es war nicht einmal sechs, aber sie bekamen dennoch etwas zu essen. Die spaghetti vongole schmeckten nach Meer und nicht zu salzig, der Weißwein war kühl und das Lokal winzig, aber wirklich hübsch. Die kleine Terrasse des Caffescondido lag im Schatten eines Sonnenschirms aus hellem Segeltuch, unter dem nur zwei Tische Platz hatten. Evelina saß mit dem Rücken zum Lokal und ließ sich von Magdalena genau beschreiben, was von Marco zu sehen war.
    Â»Ich kann ihn nicht richtig erkennen, er steht da hinter seinem Tresen im Dunklen. Ich glaube, er schenkt sich gerade ein Glas ein. Warum schaust du ihn dir nicht selbst an?«
    Doch sie wusste, das Evelina ihre ganz eigene Taktik hatte. »Lock’ du ihn für mich raus, vielleicht will er mit uns anstoßen!«, raunte sie jetzt.
    Â»Warum kennt ihr, also Nina und du, eigentlich fast nur Leute aus der Gastronomie? Ist doch auffällig, oder?«
    Evelina seufzte. »Wenn man selbst da arbeitet, lernt man nicht mehr viel anderes kennen. Aber wie findest du ihn, den Marco? Ist er nicht dolce ?!« Magdalena hätte beinahe mitgeseufzt, ja, er war dolce, forte , alles, was Evelina wollte. Eine ganze Generation von Endvierzigern war mittlerweile schon unter ihrem sondierenden Blick auf Elba an ihr vorbeigezogen. Sie kannte alle Varianten von ergrauenden Haaren, Tränensäcken, geplatzten Äderchen an Nase und Wangen, Doppelkinnen und ersten zarten Altersflecken.

    Sie hätte Marco in den Kategorien »tiefste Falten«, »müdeste Augen« und »traurigstes, charmantestes Lächeln«, ohne zu zögern, jeweils den ersten Platz zugesprochen. Aber er war nicht ihr Vater.
    Â»Er ist dolce , er ist forte , aber er ist es

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