Magermilch
wollte, in die rechte steckte sie Mütze und Handschuhe. Die Deckeltasche füllte sie mit kleinen, doch umso wichtigeren Utensilien: Gletscherbrille, Taschenmesser, Sonnencreme, Heftpflaster und Dreieckstuch, Stirnlampe.
»Thermoskanne und Verpflegung werde ich erst morgen einpacken«, sagte sie leise zu sich selbst. Dann lehnte sie den Rucksack in eine Ecke.
Der Freitag verging mit weiteren Vorbereitungen, mit Kochen und Backen und mit der Ankunft von Leni und Max.
Leni zwängte alles, was Fanni für sie hergerichtet hatte, in ihren Rucksack, zog ihn zu und hüpfte davon, um sich noch für ein Stündchen mit Marco am Hütterl zu treffen.
»So funktioniert das nicht«, sagte Fanni und packte den Rucksack wieder aus.
»Oma«, rügte sie Max, »das darf man aber gar nicht machen, dass man in den Taschen von jemand anders herumwühlt.«
Fanni musste sich ein Lachen verbeißen. So oder so ähnlich hatte sie vor Jahren einmal ihren Enkel gerügt, als er in ihrer Handtasche ein Stück Konfekt, das sich später als vergiftet erwies, gefunden und davon abgebissen hatte. Der Irre vom Falkenstein hatte Fanni damals eine Tüte voll keimverseuchter Schokoherzen untergeschoben. Sie wollte jetzt nicht daran denken, was hätte passieren können, wenn Max alle aufgegessen hätte.
»Ich glaube«, antwortete Fanni, »Leni wird mir dankbar sein, wenn ihr morgen beim Hüttenanstieg die Steigeisenzacken nicht über die Wirbel scheuern.«
Sie packte Lenis Rucksack so, dass er trotz des Gewichts einigermaßen bequem zu tragen war.
»Und jetzt«, sagte Fanni, »geh ich ins Bett.«
»Oma«, rief Max entrüstet, »es ist noch nicht mal halb neun.«
»Weiß ich«, entgegnete Fanni. »Aber ich muss morgen früh schon vor fünf Uhr aus den Federn.«
»Aber es sind Ferien«, empörte sich Max. »Da darf ich bis zehn aufbleiben.«
»Das hab ich dir ja nicht verboten«, erwiderte Fanni.
»Aber, aber«, Max sprang an den Griffen einer Kommode in den Stütz, ließ sich zurückfallen und federte dann daran auf und nieder, »was soll denn ich machen? Leni ist abgehauen, nicht mal Opa ist da. Der hat Schützenschießen.«
»Tja«, meinte Fanni, »da wirst du wohl mit Ivo vorliebnehmen müssen.«
»Ivo!«, schrie Max begeistert und katapultierte sich fast einen Meter hoch.
»Jetzt hör mal zu«, sagte Fanni ernst. »Olga und ich haben vereinbart, dass Ivo um halb neun herkommen darf, aber Punkt zehn wieder zu Hause sein muss. Ihr könnt ein Spiel machen oder einen von den Videofilmen anschauen, die ich im Wohnzimmer auf den Tisch gelegt habe. Und was machst du, wenn Ivo um zehn heimgeht?«
»Zähne putzen und ins Bett«, antwortete Max wie aus der Pistole geschossen.
»Gut«, antwortete Fanni. »Um diese Zeit wird auch Leni zurück sein. Und glaub mir, sie wird es petzen, falls der Fernsehapparat nach zehn noch läuft.«
Max nickte so feierlich, als hätte man ihm das Tafelsilber anvertraut.
Fanni wusste, dass sie sich auf die beiden Buben verlassen konnte. Besonders Ivo, Olgas Sohn, den Bene Klein adoptiert hatte, weil der Jungbauer trotz aller Beschränktheit klug genug war, die Generationenfolge auf dem Klein-Hof zu sichern, war seinem Alter weit voraus. Ivo hatte schon früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen.
Notgedrungen, mit einem geistig Behinderten als Vater und einem alten Grantler als Großvater!
Die Haustürklingel schlug an. Max flitzte über den Flur.
9
»Toni und Martha sind schon mit dem Hüttentaxi unterwegs«, verkündete Hannes.
Es war Samstagvormittag, kurz vor halb elf. Rudolf hatte vor einigen Minuten seinen Volvo auf dem Wanderparkplatz in Hinterbichl abgestellt. Er und seine Frau waren gerade dabei, ihre Bergstiefel zu schnüren. Fanni und Leni, die im Wagen der Hummels mitgefahren waren, kamen soeben von der anderen Straßenseite zurück, wo sie im Dorfwirtshaus auf der Toilette gewesen waren. Eilig schlüpften sie in ihre Bergschuhe.
»Wir zwei haben auf euch gewartet«, sagte Hannes und legte seiner Frau den Arm um die Schultern, den sie abschüttelte. »Fritz«, Hannes zog ein Gesicht, als hätte er auf Bitterwurz gebissen, »ist bis jetzt noch nicht aufgetaucht.«
»Martha hat vorhin erzählt, dass Fritz gestern Mittag nach Wörgl gefahren ist«, sagte Elvira, als ihr Mann nicht weitersprach, »weil er in der dortigen Niederlassung der Stolzers zu tun hatte. Da hat er wohl auch übernachtet. Es wäre ja unsinnig gewesen, noch mal heimzufahren, wo doch Wörgl auf unserm Weg liegt.« Sie
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