Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
und
bierbedingte Euphorie mischte und die das ganze Geschehen für einen
Außenstehenden wie mich etwas gruselig erscheinen ließ,
Raimund jedenfalls steigerte sich bei aller guten Laune irgendwann so sehr in
das Schrankenhusen-Borstel-schlechte-Vorahnung-Ding hinein, dass er
schließlich laut in die Runde rief: »Und wenn wir einfach nicht hinfahren?!«,
woraufhin alle verstummten, denn er hatte das ausgesprochen, was alle anderen
die ganze Zeit schon gedacht hatten, Schrankenhusen-Borstel musste weg, das war
die allgemeine Stimmung, oder »Schrankenhusen-Borstel go home«, wie Dubi es
seit einiger Zeit pausenlos und nur für mich hörbar in sich hineinmurmelte,
aber nun war auch er verstummt und starrte Raimund an. Und Raimund kannte nun
kein Zurück mehr: »Mal ehrlich, ich meine, wer hat denn wirklich Bock auf
Schrankenhusen-Borstel? Und ein Fluxi gibt’s da auch nicht, nur so Bauernbetten
oder was, und was ist, wenn da nur so Güllebauern kommen, so
Dreibuchstaben-Raver, die streifen sich dann die Gülle von den Stiefeln ab und
kommen da vom Rübenfeld direkt in die Dorfdisco und dann soll ich da den
›Hit mit der Flöte‹ verheizen, oder was?«
»Saxofon!«,
sagte Anja lustlos.
»Anja, ein
für allemal: Es ist ein Saxofon, ich weiß das! Aber das Ding heißt nun einmal
der ›Hit mit der Flöte‹ und dann ist das auch einer, ich kann jetzt echt
keine Musikschuldiskussion hier gebrauchen, wir sind hier doch nicht in
Rockistenhausen!«
»Jetzt lass
mal gut sein, Raimund«, sagte Ferdi vom Kopfende des Tisch. Und er hielt dazu
ein Stück Rotbarsch im Bierteig mit seiner Gabel in die Luft, ich wusste, dass
es Rotbarsch war, weil Ferdi vorher lang und breit erklärt hatte, dass nur
Rotbarsch im Bierteig okay sei, Kabeljau und »der ganze andere Fischkram«
dagegen nicht, wenn Bierteig, dann Rotbarsch, hatte Ferdi uns eingeschärft,
»dann geht’s zur Not auch mal ohne Gault Millau und Kochmützen«. Jetzt
jedenfalls hielt er ein Stück von seinem Rotbarsch in die Luft und ich konnte
sehen und auch den Blick nicht davon abwenden, wie der Bierteig auf der dem
Erdboden zugewandten Seite langsam dunkler wurde, bis sich ein Tropfen Öl
materialisierte und herunterfiel, während Ferdi uns die Leviten las: »Ihr
könnt gerne alle hierbleiben, aber dann seid ihr nicht mehr cool, dann seid ihr
nur noch Arschlöcher. Schrankenhusen-Borstel ist scheiße, klar, was denn sonst,
aber das ist die Königsdisziplin, das ist Magical Mystery, wie ich es
verstehe: Dass man dahin geht, wo es wehtut, um die Message zu verbreiten, so
sieht’s aus. Dass man in die Dorfdisco geht und dann spielen da die HostiBros
und kann ja sein, dass dann keiner tanzt oder keiner kommt oder beides, auf
jeden Fall aber haben wir dann das Licht nach Schrankenhusen-Borstel gebracht,
und wenn da nur ein Jugendlicher ist, nur einer, der sich freut, dass endlich
mal nicht Ü-30-Party ist oder Schaumparty oder was und der da hingeht, weil er
von uns gehört hat und später sagt: »Da waren diese coolen Typen, die keiner
verstanden hat, aber ich fand die toll!«, dann haben wir mehr erreicht, als
wenn wir tausendmal im JLH in Frankfurt spielen, Leute. Dann haben die Leute in
Schrankenhusen-Borstel mal aus erster Hand erfahren, worum es geht beim
deutschen Dance, und nicht immer nur irgendwelche Artikel in ihren
Käseblättern drüber gelesen, wo die Techno mit drei k in der Mitte schreiben
und man immer nur die Bilder von den Mädchentitten bei der Loveparade sieht,
Himmelarschundzwirn noch mal. Wenn ihr Hippies sein wollt, dann müsst ihr auch
mal ein bisschen was dafür tun! Und was ist denn überhaupt die Alternative?
Hier sitzenbleiben? Noch ein freier Tag? Da können wir ja gleich alle wieder
nach Berlin fahren! Oder gleich nach Essen und da dann auf die Springtime warten
wie ein paar
Rentner im Altersheim auf Kaffee und Kuchen! Das ist doch stumpf!«
Nun
schwiegen alle betreten und nuckelten an ihren Bierflaschen. Ferdi mampfte
derweil zufrieden seinen Rotbarsch. Dann fügte er hinzu: »Ich glaube, ich hätte
den Fisch mit Kartoffelsalat nehmen sollen und nicht mit Fritten. Beim
Kartoffelsalat ist mehr Säure drin, das hilft beim Verdauen.« Dann guckte er
nacheinander jeden am Tisch ganz genau an, auch mich: »Und ist hier nun einer,
der nicht nach Schrankenhusen-Borstel will?«
»Ich finde
das scheiße«, sagte Dave. »Das ist doch so ein reines Machoding, wo du uns
zeigen willst, wer hier das Sagen hat, Ferdi!«
»Ja«, sagte
Ferdi. »Kann
Weitere Kostenlose Bücher