Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
flexibel sein, das ist doch gerade das
Magical-Mystery-Ding, dass da auch mal Sachen passieren, mit denen man nie
gerechnet hat. Ich meine, kennst du irgendeinen, der schon mal bei einem
Dorfdisco-Abend für Behinderte und Nichtbehinderte …«
»Welche
Nichtbehinderten? Du etwa? ›Crossover Night‹ hieß das bei denen!
›Crossover Night‹. Tu dir das mal rein!«
»Ja und?
Dagegen ist doch nichts zu sagen! Ich meine, wir wären doch voll die arroganten
Ärsche, wenn wir das nicht, ich meine, wir dachten, da sind so Bauern und
Güllewagen und Schlägereien und Billigspeed, und dann haben die da
Rollstuhl-Abend, das ist doch ganz klar Magical Mystery, ich meine, die
Magnetic-Leute machen die Springtime, das kann jeder, das ist sowieso das neue
Gummistiefel, aber wir voll auf dem Lande und dann Behindertendisco, ich
meine, das ist doch Magical Mystery total!«
»Wenn ihr
euch nicht sofort vertragt und die Hand gebt, hau ich euch!«, sagte ich.
Mein Funktelefon
dudelte. Ich fummelte es aus der Jacke, während die beiden sich die Hand
gaben.
»Ja?«
»Karl?«
»Ja.«
»Gudrun hier!«
»Gudrun!«
»Ja,
Gudrun!« Das klang streng. »Ich muss mal mit dir reden!«
»Ich hab
das Bier nicht getrunken, das war ein Versehen, ich hab’s gleich wieder
ausgespuckt, gleich ins Hafenbecken, da war nichts, das war nur ein Versehen!«
»Wieso
Bier? Was für ein Bier denn jetzt?«
»Wegen
Klaus-Dieter.«
»Bier wegen
Klaus-Dieter? Hör mal, Karl, das kannst du alles mit Werner abkaspern, wenn er
wieder da ist, okay? Das macht ihr alles schön auf dem Plenum ab, er kommt
morgen schon wieder, dann melde dich bitte bei ihm, dem
ist jetzt der ganze Urlaub versaut, weil du da diese Sperenzchen machst. Da
hättest du ruhig mal ein bisschen Rücksicht nehmen können.«
»Das ging
nicht anders, Gudrun. Ich konnte das nicht mit St. Magnus. St. Magnus hätte
mich fertiggemacht. Ich habe im Grunde genommen nur das gemacht, was Werner
immer gesagt hat: Zur Not weglaufen!«
»Wenn das
deine Erklärung ist für den Scheiß, den du angestellt hast, dann wünsche ich
dir viel Glück! Aber deswegen rufe ich nicht an.«
»Was gibt’s
denn? Wie geht’s euch überhaupt so?«
»Deswegen rufe ich auch nicht an, Karl,
ich bin nicht deine Mutter.«
»Nein, da
sagst du was!«
»Es ist wegen
dem Meerschweinchen. Ich wollte vorhin gerade aus dem Haus, da kam hier so ein
Typ von deinem Kinderheim, Herr Niemeyer, der hatte ein Meerschweinchen dabei.
Das hättest du gestern bei denen vergessen, hat er gesagt.«
»O weh!«
»Ich hab
das jetzt hier. In einem Karton. Ich weiß ja nicht, was du da für kranke Dinger
am Laufen hast, aber wenn du … – wo bist du überhaupt?«
»Schrankenhusen-Borstel«,
log ich auf die Schnelle, es war das Erstbeste, das mir einfiel.
»Kenne
ich«, sagte Gudrun. »Das ist in Schleswig-Holstein, da habe ich mal mit
Behinderten gearbeitet. Das ist nicht weit, da gebe ich dir eine Stunde, Karl
Schmidt, genau eine Stunde ab jetzt, dann bist du hier und nimmst das Tier
mit, sonst vergesse ich mich!«
»Kein
Problem, ich hol ihn ab«, sagte ich.
»Eine
Stunde!«, sagte Gudrun und legte auf.
Raimund und
Ferdi sahen mich neugierig an.
»Tja«,
sagte ich. »Bolek ist zurück auf der Magical Mystery Tour!«
»Bolek?«
»Ja, jetzt
sind wir bald wieder alle zusammen«, sagte ich.
Dann ging
ich zum Auto, um den Meerschweinchenkäfig wieder herzurichten. Gut, dass ich
den noch nicht weggeworfen hatte.
65. Geniale Frau
Als ich
klingelte, machte
Gudrun mit einem Schuhkarton in der Hand auf, da war Bolek drin. Er machte mit
den Füßen, mit denen er auf der Pappe nicht richtig vorankam, ein scharrendes
Geräusch, und er fiepte auch ein bisschen.
»Hier!«,
sagte Gudrun. Sie hielt mir den Karton hin. »Ich hab ihm etwas Salat gegeben.«
»Das ist
gut«, sagte ich und nahm ihr die Schachtel aus der Hand. Bolek kriegte die
Panik von dem Geschaukel und versuchte, sich unter den Salat zu wühlen. Ich
streichelte ihn vorsichtig.
»Bist du
sicher, dass alles in Ordnung ist?«, sagte Gudrun und schaute nicht mich,
sondern Ferdi und Raimund an, die hinter mir standen und über meine Schulter in
den Karton und auf Bolek schauten.
»Der gute
alte Lolek«, sagte Ferdi.
»Bolek«,
sagte ich. »Lolek ist doch tot!«
Raimund und
Ferdi waren mir seit Gudruns Anruf nicht mehr von der Seite gewichen, sie
hatten mir beim Herrichten des Käfigs geholfen, zu zweit im Hotel die
Wasserflasche aufgefüllt und waren mit in eine
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