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Magical Mystery

Magical Mystery

Titel: Magical Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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die Einsamkeit, es war nicht meine Mutter und nicht Werner und nicht die Sehnsucht nach früher, außer vielleicht die Sehnsucht nach früher, an diesen Gedanken klammerte ich mich wie ein Ertrinkender an ein Stück Treibholz, früher, früher, wann war das gewesen, wie war das gewesen, ich versuchte krampfhaft diesen Gedanken nicht loszulassen, wann das wohl gewesen war, ob es das überhaupt einmal gegeben hatte, eine frühere Zeit, in der ich das dunkle Gefühl noch nicht gekannt hatte, und ich konzentrierte und konzentrierte mich und die Meerschweinchen zwitscherten und zwitscherten immer lauter, und ich überlegte und überlegte, wann das gewesen sein könnte, als Kind vielleicht? In Bielefeld? Das waren natürlich Quatschüberlegungen, die angesichts dessen, was mit mir gerade passierte, völlig belanglos waren, aber ich wollte und konnte nicht lockerlassen, ich hielt mich an dem Gedanken fest, dass es irgendwann einmal anders gewesen sein musste und ich redete mir ein, dass es nur darauf ankam, herauszufinden, wann das gewesen war und wo das gewesen war und vor allem, wie ich damals gewesen war und wie ich gelebt und gedacht hatte, denn, und das war der Gedanke, an den ich mich klammerte, wenn ich das einmal herausfand, dann müsste ich vielleicht nur irgendwie wieder so draufkommen oder so denken oder dieselben Tricks wie damals anwenden, was immer das für Tricks auch gewesen sein mochten, um wieder okay zu werden, um diese Kälte, dieses nackte Grauen loszuwerden, das die Beine hochkroch und direkt körperlich wehtat, das einen sich krümmen und die Luft anhalten und die Bauchmuskeln anspannen ließ, wie wenn man von einem dieser Jahrmarktsdinger hin- und hergeschleudert wurde, und das war mittlerweile so schlimm geworden, dass das Konzentrieren auf diese eine Frage, ob und wenn ja wann ich dieses Gefühl einmal nicht gekannt oder wenigstens vergessen gehabt hatte, zur Überlebensfrage wurde, zum Einzigen, das mich davon abhielt, auf der Autobahn, auf der ich mit den immer lauter zwitschernden Meerschweinchen Richtung Hofbräuhaus dahinknatterte, nach rechts rüberzuziehen und der Sache am nächsten Brückenpfeiler ein Ende zu machen, und ich kam nicht drauf und kam nicht drauf, aber ich hielt mich damit so lange hin, ich hielt mich damit so lange über Wasser, dass ich es mit dem letzten bisschen Energie auf einen Parkplatz schaffte, ich also da rauf und den Motor abgestellt und alles was dann noch zu hören war, waren das Rauschen der Autobahn und das Zwitschern von Lolek und Bolek, die kein bisschen leiser wurden, die waren außer Rand und Band, waren sie vielleicht kontaktstoned? Kontakdepressiv? Hatten sie eine Verbindung mit mir über die vierte Dimension, über ein Psychowurmloch, das sich in Unterschleißheim aufgetan hatte? Ich versuchte einigermaßen gleichmäßig zu atmen, und als das nicht ging, öffnete ich die Tür, lief raus und auf eine an den Parkplatz angrenzende Wiese, um durch Bewegung wieder okay zu werden, und so hüpfte und taumelte ich da ein bisschen herum, das muss ziemlich lächerlich ausgesehen haben, und ich sah weiter weg das Auto auf dem Parkplatz, innen erleuchtet, weil ich die Tür aufgelassen hatte, und ich setzte mich schließlich auf die feuchte Wiese, es war kalt, aber das Gras unter meinen Händen hatte etwas Beruhigendes, ich verkrallte die Hände darin und die Feuchtigkeit kroch in meine Hose und war lästig und das Empfinden dieser lästigen Feuchtigkeit und Kälte half mir ein bisschen und selbst hier, in der Ferne, hörte ich die Meerschweinchen zwitschern oder eher quietschen, noch durch das Rauschen der Autos auf der Autobahn hindurch, oder bildete ich mir das nur ein? Ich war auf einmal todmüde und das dunkle Gefühl war genauso plötzlich wieder weg, wie es gekommen war, verschwunden wie eine Armee Zombies, die durch einen hindurchmarschiert und einfach weitergezogen war, so hatte Klaus-Dieter das einmal beschrieben, daran erinnerte ich mich jetzt, guter alter Klaus-Dieter, das war ein guter Vergleich gewesen. Ich stand auf und klopfte mir die Hose ab, am Arsch alles durchnässt, aber das störte mich nicht, ich hatte ja im Auto meinen Mantel, der würde das später verdecken. Das Gras war ziemlich lang. Ich rupfte einige Handvoll davon aus und brachte sie den Meerschweinchen.

51. Endstation Holger
    Im Hofbräuhaus waren von meinen Leuten noch Raimund, Ferdi, Sigi, Rosa, Holger und der Typ vom örtlichen Club da, als ich wiederkam, die anderen waren

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