Magical
stotterte Miss Hakes. »Das war unglaublich.«
»Ich verstehe vollkommen, wenn Sie das Solo nicht an jemand Neuen vergeben wollen«, sagte Lisette. »Es ist nur fair, wenn die Leute sich erst einmal beweisen müssen. Ich habe an meiner alten Schule Soli gesungen, ich weiß, wie das läuft.«
Doch Lisette und ich und alle anderen wussten, dass sie dieses Solo bekommen würde. Ich wusste es und ich hasste sie, weil sie mehr Talent hatte, weil sie schöner war und vor allem, weil sie nicht in Lantana geblieben war, wo sie hingehörte. Und ich hasste sie auch dafür, dass sie mich dazu gebracht hatte, sie zu hassen.
Als Lisette zu ihrem Platz zurückkehrte, ergriff sie meine Hand. »Ich hoffe, dass du es bekommst«, flüsterte sie.
Ich drückte ihre Hand, sehr fest.
˜ ˜ ˜
Am nächsten Tag verkündete Miss Hakes natürlich, dass Lisette das Solo singen würde. Ich war die zweite Besetzung.
Alle klatschten, als Miss Hakes das sagte, außer Kendra, die mir versicherte: »Mann, das ist echt ein Jammer. Ich dachte, du hättest es so gut wie in der Tasche.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Lisette ist einfach besser.« Ich wusste, dass das stimmte. Ich schaute nach hinten. Lisette lächelte nicht einmal. Tatsächlich schimmerten Tränen in ihren blauen Augen. Was hatte es damit auf sich?
Nach dem Unterricht versuchte ich, ihr aus dem Weg zu gehen, aber sie rannte mir nach. »Emma, warte!«
Ich blieb stehen. Konnte sie mich nicht einfach gehen lassen? »Was?«
»Nichts, nur … wir gehen normalerweise gemeinsam zum Unterricht.«
War sie so ahnungslos, dass sie nicht wusste, dass ich böse auf sie war? »Klar.« Ich rückte meinen Rucksack zurecht. »Glückwunsch zu dem Solo.«
»Oh, danke. Ich wünschte, wir hätten es beide bekommen.«
»Kein Problem. Die bessere Sängerin hat gewonnen.«
»Das ist lieb von dir.« Wir waren schon fast aus dem Klassenzimmer, als sie mir die Hand auf die Schulter legte, damit ich stehen blieb. »Ich hatte im Chor meiner alten Schule ein Solo, aber meine Mom konnte nicht zum Konzert kommen. Sie machte eine Chemotherapie, deshalb war ihr dauernd übel und sie musste sich übergeben, aber sie sagte zu mir, dass ich trotzdem hingehen sollte.«
Ihre Stimme brach und ihr stiegen erneut Tränen in die Augen. Daran hatte sie also während des Unterrichts gedacht.
»Emma«, sagte sie, »glaubst du, das Menschen, die … von uns gegangen sind, auf uns herunterschauen können?Glaubst du zum Beispiel, dass mich meine Mom jetzt beobachtet?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Schließlich nickte ich und kam mir vor wie ein Stück Dreck, weil ich das Solo gewollt hatte.
»Ich hoffe es.« Sie weinte heftiger. »Das Erste, was ich tun wollte, wenn ich das Solo bekäme, war, meiner Mom eine SMS zu schicken und es ihr zu erzählen. Ich mache das manchmal – ich schreibe ihr eine SMS auf ihre alte Nummer. Glaubst du, sie haben im Himmel Handys?«
Oh, Gott. Um uns herum drängten die Leute an uns vorbei und sahen uns an, als wären wir nicht ganz dicht, aber ich legte den Arm um Lisette. »Es ist okay. Ich bin mir sicher, sie weiß es.«
Was sie nur noch mehr zum Weinen brachte.
»Und du bist nicht böse auf mich, weil ich das Solo bekommen habe, das du haben wolltest?«
»Natürlich nicht.« Ich tätschelte ihr Haar. »Wie könnte ich dir böse sein? Wir sind doch Schwestern.«
A m Freitagabend ging ich mit den Mädchen ins Einkaufszentrum, am Samstag war eine andere Mall an der Reihe. Am Samstagabend kamen alle zum Film gucken zu mir. Mutter wich uns nicht von der Seite und bot eifrig Popcorn und frisch gepresste Limonade an.
Es machte Spaß, Teil der Gruppe zu sein, aber ich verstand kaum ein Wort von dem, was sie sagten. Ich hoffte, dass Mutter überhaupt nichts davon kapierte.
»Was ist los, Midori?«, sagte Courtney und sah das Telefon an. »Ich sehe, du hast Jacy Davis als Freundin hinzugefügt. Sie ist eine totale Schnalle.«
»Nur wegen der lols«, erwiderte Midori. »Hast du das Zeug gesehen, das sie postet? Letzte Woche hat sie sich selbst fotografiert, als sie auf Crispins Party komplett stoned war.«
»Ich weiß!«, sagte Courtney. »Und sie hat praktisch mit tausend Typen rumgemacht.«
Mutter, die gerade Reiscrispies herumreichte, versuchte so zu tun, als sei sie unsichtbar. Sie hatte jede Folge von Dr. Phil gesehen und täglich die Ratgeberkolumne Dear Abby gelesen. Außerdem hatten ihre Freundinnen ihr Millionen warnender E-Mails weitergeleitet, in denen
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