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Magical

Magical

Titel: Magical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Flinn
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sich Tränen abwischten, die eher von Erschöpfung durch das Erlebte als von meinem Lied herrührten. Schon bald schlief nur noch das blonde Mädchen in der Ecke. Ich fragte mich, ob mit ihr alles in Ordnung war.
    »Das war schön«, sagte der Junge, als ich fertig war. Er griff nach meiner Hand und ich – Poseidon helfe mir –, ich ließ es zu, obwohl mein Verstand mir zubrüllte, dass es falscher als falsch war.
    »Ja, schön«, sagte Bessie. »Ein Lied wie dieses … ist unvergesslich.«
    Etwas in der Art, wie sie unvergesslich sagte, ließ mich aufblicken. Sie lächelte.
    Allmählich dösten wir alle fröstelnd ein, zuerst der Junge, seine Hand in meiner, dann die anderen Passagiere, dann Bessie. Ich wusste, dass ich jetzt über Bord springen sollte. Niemand würde es bemerken. Ich entwand meine Hand dem eisigen Griff des Jungen. Er stöhnte protestierend. Ich wartete mit angehaltenem Atem, aber er rührte sich nicht weiter. Ich stützte mich mit den Händen auf dieBootskante. Einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte Bessie blinzeln sehen. Nein. Das hatte ich mir nur eingebildet. Mit einem letzten Blick auf das schöne Gesicht des Jungen, machte ich mich zum Sprung bereit.
    Genau da ertönte ein Horn.
    Ich zuckte zusammen. Wir alle zuckten zusammen. Es war ein großes schwarzes Schiff, das man vor dem Nachthimmel kaum sehen konnte. Wir waren gerettet! Sie waren gerettet. Ich war dem Untergang geweiht.
    Ich durfte nicht länger zögern. Ich tauchte in das dunkle, plötzlich kalte Wasser ein. Es packte mich, wie es meine Mutter immer getan hatte, als ich zu dicht an der Oberfläche schwamm, und zog mich tiefer und tiefer in seine Arme, vorbei an dem dem Untergang geweihten Schiff, dessen Inhalt jetzt auf dem Meeresgrund verstreut lag, vorbei an den Leichen, die wie winkende Engel halb versunken im Wasser schwebten. Ich versuchte, sie nicht anzuschauen, aber ihre toten Augen glotzten mich an.
    Als ich eine angemessene Strecke geschwommen war, tauchte ich wieder aus dem Wasser auf. Die Luft war kälter, als ich in Erinnerung gehabt hatte. Es war immer noch dunkel, aber ich konnte Geräusche hören, das Brüllen der Retter, die Schreie der Geretteten. Es war zu dunkel, um etwas zu sehen. Trotzdem suchte ich nach dem weißen Umriss seines Rettungsboots, um einen letzten Blick auf ihn zu erhaschen. Und wieder versuchte der schwarze Ozean, mich fortzureißen.
    ˜ ˜ ˜
    Stunden später, als die Sonne aufging, war der Junge weg. Trotzdem schaute ich dem Rettungsschiff nach, bis es außer Sicht war.
    Erst als es weg war, tauchte ich wieder in das einladende Nass ein, das jetzt nicht mehr schwarz war, sondern von der Morgensonne blau gesprenkelt. Ich tauchte weit in die Tiefe, vorbei an den Engeln, bis das Wasser wieder dunkel, kalt und trübe war, tiefer als ich je getaucht war oder je tauchen wollte. Doch jetzt wollte ich. Ich wollte es noch einmal sehen, sein Schiff. Endlich fand ich den Rumpf. Er war entzweigebrochen. Ich betrat den größeren der beiden Teile und achtete darauf, nichts aufzuscheuchen und die glotzenden Augen zu meiden. Ich wusste, dass ihre Seelen jetzt im Himmel waren. Trotzdem war ich traurig. Ich flog durch den Korridor und die großen Treppen hinunter. Meine Hände fanden ein Metallstück, das mit dem Muster irdischer Blumen verziert war. Mein Schwanz wirbelte Sand und kleine Gegenstände auf. Um mich herum taten sich Meereswesen an dem, was wohl Nahrungsmittel waren, gütlich. Hatten sie hier zu Abend gegessen? Ich wusste, dass später die Haie kommen würden. Endlich brachten mir die Wellen das, was ich suchte, etwas kleines weißes Welliges mit einem Bild des großen Schiffes, wie es wohl ausgesehen hatte. Ich nahm es und schlug die Warnungen meines Vaters, etwas zu nehmen, in den Wind. Immerhin hatte ich auch etwas gegeben. Ich hatte das Leben eines Jungen gerettet.
    Mit meiner Trophäe in der Hand schwamm ich nach Hause.
    Ich erzählte niemandem, was ich gesehen, getan und riskiert hatte. Ich wusste, sie würden zornig werden. Doch in den nächsten Tagen war das Sinken des großen Schiffes das Gesprächsthema der Meerwelt. Viele gingen das Wrack besichtigen, von dem es hieß, es sei schöner als unser prächtigstes Schloss. Ich erfuhr, dass der Name des toten Schiffes Titanic war und dass man es für unsinkbar gehalten hatte.
    »Man fordert das Schicksal heraus, wenn man behauptet, ein Schiff sei unsinkbar«, sagte mein Vater. »Und das hat dem Schicksal nicht gefallen.«
    Auch die

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