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Magical

Magical

Titel: Magical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Flinn
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Toten kamen in unseren Gesprächen vor, so viele Tote. Ich hörte mir jede Diskussion mit gespannter Aufmerksamkeit an und tat so, als wüsste ich weniger, als es tatsächlich der Fall war. Noch immer konnte ich an nichts anderes denken. Ich brachte das Thema jeden Tag, jede Stunde auf und fragte nach den Juwelen und den Vorhängen, die meine Schwestern gesehen hatten, nach den Gerüchten, die sie gehört hatten. Immer, immer dachte ich an den Jungen, ich fragte mich, was aus ihm geworden war, nachdem ich ihn verlassen hatte. Als meine Schwester Marina eines Tages schließlich die Anstrengungen beschrieb, die zur Bergung der Toten unternommen wurden, fragte ich: »Was ist mit den Überlebenden? Waren es viele?«
    »Es gab weniger Überlebende als Tote«, sagte sie. »Die Menschen sind ein hohes Risiko eingegangen.«
    »Ja, ja«, stimmte ich zu, weil ich mich an die mit Wasser voll gesaugten, treibenden weißen Leichen am Meeresboden erinnerte. »Aber hat jemand überlebt? Und wo wurden die Überlebenden hingebracht?«
    Marina sagte, dass sie das nicht wüsste, aber herausfinden könnte. Wisst ihr, ich hatte sie gefragt, weil ich wusste, dass sie das tun würde.
    Trotzdem konnte es mir gar nicht schnell genug gehen. Ich musste den Jungen finden, musste wissen, ob er noch lebte, auch wenn ich nicht bei ihm sein konnte. Ich musste wissen, ob er noch auf Erden wandelte.
    Die Karte, die ich mitgenommen hatte und auf der das Schiff und ein Schriftzug, den ich nicht lesen konnte, abgebildet waren, legte ich in ein Säckchen, das Mutter gehört hatte. Es bestand aus den Körpern toter Oktopusse. Dort bewahrte ich alle meine Schätze auf. Es schützte sie. Aber diesen Schatz nahm ich so oft heraus, dass er schwächer wurde und verblasste, und ich wusste, dass seine Erinnerung an mich ebenso schwinden würde, bis nichts mehr davon übrig wäre.
    Am nächsten Tag kam Marina zu mir geschwommen, ihr Schwanz zitterte vor Aufregung. Sie hatte Informationen.
    »Es ist das große Gesprächsthema in der Welt der Menschen, deshalb habe ich ein paar Leute belauscht, die zur Bergung gekommen sind. Sie sagten, dass die Überlebenden von einem Schiff namens Carpathia gerettet wurden. Sie wollten nach New York.«
    Von New York hatte ich gehört. Es war zwar eine ganz schön lange Reise, aber ich war eine gute Schwimmerin. Ich würde New York besuchen und den Ort finden, an dem die großen Schiffe anlegten. Dort würde ich am Strand warten, und früher oder später würde er gewiss dort vorbeikommen. Wenn ich sehen könnte, dass er gesund und wohlauf war, wäre ich zufrieden, sagte ich zu mir selbst.
    Am nächsten Morgen, als mein Vater, meine Schwestern und meine Großmutter noch schlummerten, verließ ich das Schloss. Ich nahm nur die Oktopustasche und das Bild der Titanic mit. Ich schwamm in die Richtung, in die das große Schiff davongefahren war. Es war eine lange Reise, und ich wusste, dass meine Familie böse auf mich sein würde. Doch was konnte schon passieren? Ich hatte nicht vor, mich zu zeigen, ich wollte nur schauen. Außerdem war ich jetzt schon so lange unterwegs, dass ich ohnehin in großen Schwierigkeiten steckte. Ich konnte also ebenso gut weiterschwimmen, denn es gab kein Zurück mehr. In der Nacht ruhte ich mich aus, am nächsten Morgen schwamm ich weiter.
    Schließlich erreichte ich mein Ziel. Ich brauchte mir keine Gedanken darüber zu machen, dass jemand mich bemerken könnte. Der Ort, an dem die Schiffe anlegten, beherbergte nicht ein oder zwei, sondern Tausende von Schiffen. Auf jedem davon befanden sich Hunderte Menschen mit Koffern und Paketen, die gerade an Bord gingen oder das Schiff verließen.
    Auf einer Seite des Hafens stand die Statue einer Frau.Zumindest glaubte ich, dass es sich um eine Frau handelte, auch wenn sie riesengroß und ganz grün war. Auf der anderen Seite, am Ufer, standen die Schlösser. Sie waren größer als alle, die ich bisher gesehen hatte, manche davon ragten bis in die Wolken. Konnten all diese Schlösser voller Menschen sein? Wenn ja, würde ich den Jungen niemals finden. Niemals.
    Ich setzte mich auf einen Felsen, der viereckig war, wie ich es zuvor noch nie an einem richtigen Felsen gesehen hatte. Ich fing an zu weinen. Meine Arme und mein Schwanz – mein ganzer Körper – schmerzten. Ich war zwei Tage lang vergeblich geschwommen, und jetzt würde ich zwei Tage zurückschwimmen und meinem Vater und meinen Schwestern gegenübertreten müssen. Eine Schiffshupe ertönte, als wollte

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