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Magical

Magical

Titel: Magical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Flinn
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zweifellos irgendeine Erbin mit schlechten Zähnen, die seekrank gewesen war, seit wir in Southampton abgelegt hatten, und ihre Kabine nicht verlassen hatte.«
    »Hestia Rivers. Und du weißt gar nicht, ob sie schlechte Zähne hat.«
    »All diese Erbinnen, die meine Mutter anschleppt, haben schlechte Zähne. Außerdem bin ich zu jung, um zu heiraten. Ich bin erst neunzehn.«
    »Beinahe zwanzig.«
    »Ich bin neunzehn, bis ich zwanzig werde. Jedenfalls täuschte ich vor, auch krank zu sein. Hypochondrie hat ihre Vorteile. Als Mutter hereinkam, tat ich, als würde ich schon schlafen, aber ich war hellwach. Ich war noch immer hellwach, als der Kabinensteward an die Tür klopfte. Ich ließ ihn ein.
    Mutter fing an, ihn zu beschimpfen, weil er uns für eine Sicherheitsübung aufweckte, doch ich konnte in seinen Augen sehen, dass es keine Übung war. Während Mutter über ihren Schönheitsschlaf und die Sicherheit ihrer Juwelen krakeelte, ergriff ich die beiden Schwimmwesten und führte sie an Deck.«
    »Das war geistesgegenwärtig gehandelt«, sagte Robert.
    »Es war eiskalt, ein weiterer Grund für sie herumzujammern. Ich wünschte, ich würde in ihrer Welt leben, wo das größte Problem darin besteht, dass es kalt ist oder dass der Toast angesengt ist oder was die Leute von uns denken könnten, wenn wir in der Met nicht wie immer die Logehaben. Während Mutter einen Monolog über die Temperatur ihrer Nase vortrug, sah ich zum ersten Mal, wie unmenschlich grausam Menschen gegenüber anderen Menschen sein können. Nimm alle Taschendiebe, Schläger und Mörder aus Mr Dickens’ Schinken zusammen und es wäre nichts gegen die herzlose Unmoral der Passagiere auf der Titanic in dieser Nacht – sie schoben, schubsten, schrien und logen. Das Schlimmste aber daran ist, dass die, die sich anständig benahmen, jetzt wahrscheinlich am Grund des Ozeans liegen. Irgendwann waren Schüsse zu hören. Es gab nicht genug Rettungsboote. Das wissen wir jetzt. Die Offiziere sagten: ›Frauen und Kinder zuerst.‹ Mutter war aufgrund ihrer Position als Frau aus der ersten Klasse in Sicherheit (wir wissen ja, was in Wirklichkeit gemeint war: Die erste Klasse zuerst, alle anderen sind verloren). Dennoch kreischte sie, als sie das hörte, und versuchte, den Offizier davon zu überzeugen, dass ich erst dreizehn sei. ›Er ist nur groß für sein Alter.‹ Ich stieß sie an, weil ich wusste, dass niemand ihr glauben würde. Ich sagte zu ihr, dass es nicht gentlemanlike sei zu lügen, und weißt du, was sie daraufhin sagte?«
    Robert nickte.
    »Sie sagte, dass die Gentlemen sterben und die Raufbolde überleben würden. Der Offizier wollte mich gerade auf ein Boot lassen, wahrscheinlich nur, damit sie endlich den Mund hielt. Aber das konnte ich nicht ertragen. Ich mischte mich unter den schubsenden, unbändigen Mob, schubste aber, um von ihr wegzukommen. Der Offiziersetzte sie in ein Boot. Als es zu Wasser gelassen wurde, hörte ich sie den ganzen Weg hinunter zum Meer schreien.«
    »Das war edel von dir«, sagte Robert.
    »Ja, es … das war es nicht. Es war ein Anflug von Groll. Mutter versetzt mich immer in Wut, und dieses Mal wäre ich ihr zum Trotz fast gestorben. Ich nahm an, dass ich in ein späteres Boot kommen würde, aber schon bald war keines mehr da. Das Schiff sank. Wir waren alle dem Untergang geweiht, und die ganze Zeit hat das Orchester gespielt, als wollte es uns einen weiteren Grund geben, den Service der White Star Line zu loben.«
    Robert kicherte. »Was niemand tun wird.«
    »In der Tat. Und das Großartige daran ist, dass die Musiker zu tot sind, um sich deswegen zu beschweren. Ehe ich mich’s versah, wurde das Schiff unter mir weggerissen. Hunderte fingen gleichzeitig an zu schreien. Dann der Schock des eiskalten Wassers auf meiner Haut. Du weißt, Robert, dass ich nur schwimmen möchte, wenn das Wasser richtig warm ist. Und doch war das Wasser, dieses eisige Grab für unzählige Hunderte, nicht das Schlimmste daran. Nicht einmal die Schreie waren das Schlimmste, obwohl nur zwei der Rettungsboote blieben und die Schreie bei allen anderen Rettungsbooten – auch bei dem meiner Mutter – auf taube Ohren stießen. Eine Tatsache, die mich, bis ich sterbe, mit Ekel erfüllen wird. Das Schlimmste war, als ich merkte, dass das Schreien beinahe aufgehört hatte. Ich wusste, was das bedeutete. Es bedeutete, dass ich der Einzige war, der noch in diesen Fluten lebte, und dass auch ichbald nicht mehr da sein würde. Irgendwie tröstete

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