Magie der Schatten 1 - Barshim und Cashi
wusste. Es war das Nicht-Verstehen, dass sie wirklich eine Strafe bekommen sollte. Cashimaé hob den Kopf und suchte im Halbdunkeln mit großen Augen den Sichtkontakt zu ihrem Ziehvater. Jetzt sah er sie an und Cashimaé bewegte ihre Hand als wollte sie die seine erfassen. Wollte seine Stärke und Wärme wieder fühlen. Ihre linke Hand presste sie an die Brust und tonlos sprach sie seinen Namen aus, als er den Blick löste und sich wieder den Magiern widmete.
»Sha«, tropfte es leise von ihren Lippen wie die Träne, die über ihre Wange rann. Niemals zuvor hatte sie sich so verlassen gefühlt wie jetzt. Ihre Gedanken verloren sich in den vergangenen Tagen. Warum war sie nicht ihrem ersten Impuls gefolgt und einfach umgekehrt, als sie auf dem Weg nach Comoérta waren?
Nach schier endloser Zeit trat Karaz nach vorne, der Serva* Natriells. Ein kräftig gebauter Mann mit langem, schwarzem Haar. »Höre, Cashimaé. Dies ist deine Strafe«, sprach er mit einer Baritonstimme, die das Mädchen zusammenzucken ließ. »Ab sofort wirst du Tamins Schülerin sein. Er wird dich die Regeln lehren und dich Stück für Stück an das Leben in der Gemeinschaft gewöhnen. Bis zu deiner Reife ist es dir untersagt, in deine Heimat zurückzukehren. Wagst du es, dagegen zu rebellieren, wirst du verbannt. Kontakt zu Shorbo ist dir in dieser Zeit untersagt.«
Cashimaé starrte den Mann lange mit leeren Augen an. Seine Worte fanden keinen Widerhall in ihr. Es dauerte, doch dann begriff sie: Der Kreis gab Shorbo die Schuld.
Sie wandte den Kopf und suchte ihren Ziehvater. Doch Shorbo konnte ihre Blicke nicht erwidern. Sie spürte neue Wut in sich aufsteigen. Wie konnte er sie so im Stich lassen? Er war der Kreisführer Natriells. Shorbo leitete das Land, er machte die Gesetze! Wie konnte er diese Strafe zulassen? Ihre Körperhaltung sprach von ihrem aufkeimenden Widerwillen. Ihr Gesicht wandte sich mit zusammengekniffenen Lippen gen Boden.
Karaz sprach weiter. »Der Kontakt zu Barshim ist dir in dieser Zeit ebenso untersagt.« Sie warf den Kopf so schnell zurück, dass ihr Haar durch die Luft flog. Ihre Hände pressten sich zusammen und die Nägel gruben sich tief in das Fleisch. Die Furcht war mit der Nennung von Barshims Namen von der aufspringenden Flamme in ihr vernichtet worden.
»Was?«, schrie sie. »Ihr habt wohl mit den Shalas gebadet! Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, mit wem ich reden darf!«
Karaz ließ das Pergament sinken. Lautes Gemurmel machte sich unter den anwesenden Kreismitgliedern breit. Das Wort ‚unverfroren‘ war deutlich zu hören. Cashimaé wagte es, ohne Erlaubnis ein Protokoll zu unterbrechen und ihre Wortwahl entsprach nicht der, die die Kreismitglieder gewohnt waren.
»Ich glaube, dir ist der Ernst der Lage nicht bewusst, junge Cashimaé«, sprach Karaz.
Mit einer heftigen Handbewegung fegte sie seine Worte zur Seite. Hätte sie das Funkeln in Tamins Augen sehen können, hätte sie sich genauer überlegt, was sie jetzt tat.
»Das ist doch ein Witz. Wer seid ihr, dass ihr euch das Recht heraus nehmt, uns trennen zu wollen?! Ich bin eine Magierin. Ein Kind der Drachen und ihr wollt mir Vorschriften machen?« Ihr erhitztes Gemüt schleuderte die Worte in den Raum, wie Dolche. Ihre Augen glichen einem Sommergewitter, dessen Blitze die Mitglieder des Kreises vernichten wollten. Sie beobachtete, wie sich die Blicke der Kreismitglieder begegneten. Gedanken, schoss es durch ihren Kopf, sie kommunizierten im Geiste.
Cashimaé strengte sich an, diese Gedanken zu erfahren, doch zu ihrer Überraschung blieb ihr diese Gabe verwehrt.
Sie ahnte langsam, dass es etwas mit dem merkwürdigen Gefühl zu tun hatte, das sie empfand, als die den Raum betreten hatte. Im Kopf festigte sich das Bild eines Blitzes. Keiner würde ihr Befehle geben. Auf ihren Armen breitete sich ein Prickeln aus, als sie versuchte, die Magie weiter auszubauen, doch zu ihrer Überraschung verpuffte sie einfach. Ein kleiner Energiestrom, der kaum einen Wirbel in der Luft erzeugte. »Wieso kann ich keine Magie anwenden?« Sie starrte ihre Hände an, als eine warme Frauenstimme hinter ihr erklang.
»Weil Magier, die nicht dem Kreis angehören, unweigerlich in den Bann der heiligen Hallen geraten, junge Cashimaé.« Das Mädchen wirbelte herum, wobei ihr Rock weit ausschwang. Sie erkannte Filyma, die zu ihr gesprochen hatte. »Mir scheint, dir fehlen sehr viele Lektionen, Kind.« Ausgerechnet Tamin trat neben die Magistratera. »Filyma,
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