Magie der Schatten 1 - Barshim und Cashi
vollbringen konnte.
Über die bleiche Wange rann eine rote Träne hinab.
*
Barshim nahm die Zügel wieder auf. Mit der linken Hand stülpte er die Kapuze seines Mantels über den Kopf. Er beobachtete, wie Tamin die bewusstlose Frau hochhob und alle drei in den Hallen der Bibliothek verschwanden. Für diesen Moment hatte man ihn vergessen, doch es war auch nicht wichtig. Für Sekunden hatte er Angst gespürt. Angst um die Frau, für die er mehr empfand als Freundschaft. Barshims Augen funkelten wie zwei schwarze Glasperlen und er biss sich auf die Unterlippe, um einen Freudenausruf zu unterdrücken. Emotionen waren der Teil seiner noch jungen Jahre, den er nicht gerne nach außen zeigte. Er hatte es gewusst. Wärme zeichnete sich in seinen Zügen ab. Sie war ein Teil von ihm. Tag und Nacht, Licht und Schatten. Cashimaé war das Feuer und die Leidenschaft des Lebens. Eine berauschende Natur und sein ein und alles. Er wusste es, seit sie damals für ihn über die Hügel gelaufen war und den Wind als ihre Stimme benutzt hatte. Sein Herzschlag war der ihre. Ihr Atem der seine. Barshims Augen wanderten zur Rechten, über den Platz bis hin zum Meer, das im Licht der späten Nachmittagssonne funkelte. Diamanten. Das Wort fiel ihm ein. Sie war ein Diamant. Noch ungeschliffen. Sie hatte keine Ahnung, welche Schönheit in ihr lebte und pulsierte. Er würde ihr Strahlen frei legen. Würde ihren Schwingen Freiheit geben, auf das sie sich ausbreiten mögen, damit auch er mit ihr fliegen konnte. Die Alte Welt würde mit ihrer Hilfe zu neuem Glanz erstehen. Und was auch immer der Kreis vor ihnen verbarg, warum die alten Geschichten niemals zu Ende erzählt wurden, all das würden sie frei legen. Es sollte in der Neuen Welt keine Geheimnisse mehr geben. Das war es, warum sie geboren wurden. Da war sich Barshim sicher. Warum die Elementar-Drachen sie hier her gebracht hatten. Um die Welt aus ihrem Gürtel der Lügen zu befreien.
Barshim klopfte seinem Pferd zärtlich den Hals, ehe er wendete und in den wieder erwachten Gassen Comoértas verschwand.
Kapitel 11
Shorbo saß mitten im Zimmer in einem großen Sessel und umfasste mit beiden Händen den schwarzen Stab. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Heute fühlte er sich das erste Mal alt.
Man hatte seine Pflegetochter auf sein Zimmer gebracht und der Heilmagier Gervan nahm sich ihrer an. Er stellte fest, dass Cashimaés Körper noch unter der schweren Überladung der Energien litt. Ansonsten war sie in Ordnung. Ihr fehlte nichts, was Ruhe und Schlaf nicht wieder richten konnten.
Sie sah so blass und verloren in dem großen Bett aus, über dem sich der dunkle Baldachin erstreckte.
Sie war noch nicht zu sich gekommen, doch die Stimmen im Haus erklangen schon. Der Tod einer Unschuldigen war schlimm genug, doch dass der Shala Cashimaé nicht vernichtet hatte, sorgte für den meisten Gesprächsstoff. Noch niemals hatte jemand den Angriff eines Schattens überlebt. Hier und da waren auch Vorwürfe gegen den Kreisführer zu hören. Barshim und Cashimaé hätten längst eine schulische Ausbildung in den Hallen zugutekommen sollen, meinten einige.
Langsam erhob sich Shorbo, trat ans Fenster und schaute in die Abenddämmerung. Gerade verschwand die Sonne hinter dem Gebirge und der Himmel war erfüllt von warmen Farben. Weiter hinten konnte man bereits die ersten Sterne leuchten sehen. Sein Blick fiel auf den Platz. Er kannte den Mann, der sich näherte und so in Gedanken versunken war, dass er Shorbo am Fenster nicht bemerkte. Der alte Magier hob die Hand und drückte sie gegen das Glas, dessen Rahmen aus kunstvoller Schmiedekunst bestand und fliegende Drachen darstellte.
- Warum hast du ihr nicht geholfen? -
Barshim verschwand aus seinem Blickfeld. Shorbo fragte sich, wie viel der junge Mann wusste. Liebte er sein Mädchen wirklich oder war es lediglich die Suche nach Macht und unvollendeten Fragen wie bei Tamin?
Shorbo hatte Barshim und Cashimaé beobachtet. Ihre Nähe war die zweier Kinder, die begannen sich kennenzulernen. Nicht mehr, nicht weniger. Filymas und Tamins Einwände waren berechtigt. Shorbo erinnerte sich an jene Nacht, als sie die Kinder aus der Wüste mitbrachten.
»
Sie sollten nicht hier sein. Wäre es nicht besser, sie zu töten?
" Damals waren lautstarke Stimmen der Kreismitglieder ertönt.
Er, Shorbo, hatte die Schriftrollen vor 30 Jahren in die alte Bibliothek gelegt. Wer konnte ahnen, dass man sie so fehlinterpretieren würde? Dass man die Ankunft
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