Magie der Schatten: Roman (German Edition)
herumkriechen und ins Leere starren lässt.«
»Nairod, lass uns schnell gehen. Mit diesem Ort stimmt etwas nicht.«
Er nahm ihre Hand. Sie fühlte sich kalt an. »Du musst keine Angst haben. Was hier gewütet hat, war auf meiner Seite. Und gegen Ariman«, sagte er, obwohl er darauf nicht geschworen hätte.
»Ich habe trotzdem Angst. Komm.«
Nairod ging mit ihr. Das Buch unter seinem Arm zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. »Ja. Wir haben, was wir wollten.«
Ein leise murmelnder Zauberer blieb zurück. Seine Finger zitterten und griffen hinter Nairod her, packten die leere Luft und zogen etwas Unsichtbares zu sich zurück. Seine Lippen bewegten sich, und während Lenia und Sax bereits auf der Treppe waren, sah Nairod seinen Widersacher ein letztes Mal an. Es war kein Rätsel, was er dort tonlos flüsterte. Nairods eigener Mund hatte die Worte auf die gleiche Art geformt, wenn er nicht genau auf ihn achtgegeben hatte.
...yuunoeikyuunoeikyuunoeikyuunoeikyuunoeikyuuno...
***
Auch auf dem Rückweg begegneten sie im Anwesen keinem Menschen. Der Weg durch das Labyrinth hatte sich geändert, aber Sax’ Erinnerung führte sie sicher durch die neblige Welt und hinaus auf die Straßen. Dort warteten bereits die Lichter von Weißhügel auf sie. In einem Gasthaus, dessen Name Nairod nicht mehr mitbekam, quartierten sie sich ein. Sax zog aus seinen Haarkleidern eine goldene Dublone, die er aus dem Anwesen des reichen Händlers entwendet hatte, und bezahlte damit die Zimmer.
Lenia führte Nairod zu seinem Bett, sah ihn eindringlich an und sagte ihm, er solle sich ausruhen. Als sie aus dem Zimmer verschwunden war, kicherte der Gnom, der in einem mit Kissen ausgelegten Körbchen neben Nairods Bett saß. »Du wirst es sowieso nicht tun.«
Nairod ignorierte es. Er ignorierte Sax, er ignorierte Lenia, er ignorierte die ganze bedeutungslose Welt.
Er hielt die zweite Hälfte von Eikyuuno umklammert und zitterte bei dem bloßen Gedanken an die Seiten, Zeilen, Buchstaben, die seiner harrten. Schlafen konnte er nicht, nein. Seine Augen schmerzten, in kurzen Schwächeanfällen erschlafften seine Finger immer wieder, aber das würde ihn nicht aufhalten. Sobald er den ersten Buchstaben gelesen hätte …
Er betrachtete die Seite, mit der der zweite Teil begann. Sie schloss sich an die Seite an, die in der Bibliothek als Notizzettel missbraucht worden war. Die Seiten waren noch abgegriffener als die des ersten Teils. Endlose Male musste Ariman darin geblättert haben. Aber jetzt hatte das Buch endlich einen neuen Besitzer.
Nairod hielt die zwei Hälften und die herausgerissene Seite aneinander. Sie passten nahtlos. Seine Augen brannten vor Anstrengung, aber auch in seinem Geist loderte ein Feuer. Es erfüllte seinen ganzen Leib und trieb ihn an.
Er blieb auf der Bettkante sitzen, überflog zum Einstieg die Notiz-Seite, die er in der Bibliothek gefunden hatte, und nahm dann den zweiten Teil zur Hand. Er versank in den Buchstaben, Wörtern und Sätzen. Den ersten Absatz nahm er noch bewusst wahr, danach verschwand er in dem Buch …
… und tauchte erst nach einer Ewigkeit wieder auf. Der letzte Satz hallte in seinem Verstand nach. Das Buch fiel ihm aus den kraftlosen Fingern. Seine Augenlider senkten sich und ließen keinen Widerstand zu. Alle seine Gedanken geronnen zu einer warmen, weichen Masse, und sein Körper fiel schließlich zurück auf das Bett.
Er erwachte in nahezu völliger Dunkelheit, als wäre gar keine Zeit vergangen, seit er das Bewusstsein verloren hatte. Sein Körper fühlte sich leicht an, nicht mehr niedergedrückt von bleierner Müdigkeit.
Neben dem Bett lag das Buch auf dem Boden. Er hob es auf, und sofort kehrte das Erlebte in seinen Geist zurück, in Bildern und in geraunten Worten.
Der Glasknochenmann. Die Erzählung hatte damit wieder eingesetzt, dass er von einer ergebnislosen Reise in seine Experimentierkammer zurückgekehrt war. Seine Magie war geschwächt, genau wie sein Körper. Er musste auf Kristalle zurückgreifen, um überhaupt noch Magie wirken zu können. Er jagte vergeblich einem Traum hinterher. Seine Ressourcen waren erschöpft, seine Ideen auch. So entschloss er sich, Rat zu suchen bei einem, der Rat wusste, wenn niemand sonst einen hatte. Er durchwanderte die Wüsten im Osten, gequält von Hitze und Durst, auf der Suche nach dem letzten Drachen, von dem die Welt wusste.
Er fand ihn zwischen Fels und Stein und trug ihm sein Anliegen vor. Der weise Drache bot ihm seine Hilfe an.
Weitere Kostenlose Bücher