Magie der Sehnsucht - Roman
besser als ich.« Er schwieg, und sie schaute sich im Zimmer um. »Natürlich muss ich ohne meine Eltern weiterleben, das weiß ich. Trotzdem höre ich immer noch ihre Stimmen – und spüre ihre Nähe.«
»Es ist ihre Liebe, die du fühlst. Und die erwärmt dich nach wie vor.«
»Sicher hast du Recht.«
»He!«, rief Selena durch die Tür. »Bill bestellt gerade eine Pizza. Habt ihr Appetit?«
»Hm, ich denke schon«, erwiderte Grace.
»Und Sie, Julian?«
Vielsagend lächelte er Grace an. »Ich hätte sehr gern eine Pizza.«
Belustigt erinnerte sie sich, wie sie ihn heraufbeschworen und wie er kurz danach um eine Pizza gebeten hatte.
»Okay, also Pizza für alle.« Selena eilte davon.
»Das habe ich auf dem Boden gefunden«, erklärte Julian und reichte Grace den Ehering ihrer Mutter.
Statt ihn auf den Toilettentisch zu legen, hielt sie ihn eine Zeit lang in der Hand, dann steckte sie ihn an ihren Finger. Zum ersten Mal seit Jahren tröstete sie der schmale goldene Reif.
Als sie den Raum verlassen hatten, wollte Julian die Tür schließen.
»Nein, lass sie offen«, bat Grace.
»Bist du sicher?«
Sie nickte. Als sie ihr Schlafzimmer betrat, sah sie, dass er auch hier Ordnung gemacht hatte. Doch der Anblick der leeren Bücherregale trieb ihr neue Tränen in die Augen, und Julian schloss die Tür der kleinen Kammer. Diesmal protestierte sie nicht.
Nach dem Dinner überzeugte sie ihre Freunde endlich, nun würde sie ohne deren Hilfe zurechtkommen. »Wirklich, ihr könnt jetzt gehen«, versicherte sie zum zehnten
Mal. Dankbar für Julians Anwesenheit, berührte sie seinen Arm. »Außerdem habe ich Julian.«
»Wenn du was brauchst, ruf uns an«, mahnte Selena.
»Ja, das werde ich tun.«
Selena und Bill verließen das Haus, und Grace versperrte die Tür.
Dann stieg sie mit Julian die Treppe hinauf. Während sie im Bett lagen, gestand sie: »Ich fühle mich so verletzlich.«
»Das verstehe ich. Schließ die Augen. Ich bin hier. Und ich werde dich beschützen.«
Zufrieden schmiegte sie sich an ihn. Aber es dauerte lange, bis sie einschlief, von ihrer Erschöpfung überwältigt.
Mit einem halb erstickten Schrei erwachte sie.
»Ich bin hier, Grace.«
Sobald sie Julians Stimme an ihrer Seite hörte, beruhigte sie sich. »Oh, Gott sei Dank – du bist es. Ich hatte einen bösen Traum.«
Zärtlich küsste er ihre Schulter. »Das dachte ich mir.«
Sie drückte seine Hand, dann stand sie auf, weil sie zur Arbeit gehen musste. Nachdem sie geduscht hatte, kehrte sie ins Schlafzimmer zurück. Ihre Hände zitterten so heftig, dass sie nicht einmal ihre Bluse zuknöpfen konnte.
»Lass dir helfen«, bat Julian und schloss die Bluse. »Glaub mir, du musst dich nicht fürchten, Grace. Niemals werde ich ihm erlauben, dich zu verletzen.«
»Ja, ich weiß. Und wenn ihn die Polizei geschnappt hat, kann er mir ohnehin nichts mehr antun.«
Kurz danach fuhren sie in die City. Graces Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und sie vermochte kaum
zu atmen. Doch sie würde sich zusammenreißen. Rodney Carmichael durfte ihr Leben nicht kontrollieren. Niemals, gelobte sie sich, ich bin viel stärker als er.
Trotzdem war sie froh über Julians Gegenwart – obwohl sie nicht über den Trost nachdenken wollte, den er ihr spendete.
»Was ist das?«, fragte er, als sie ihn zum antiken Aufzug des Bürogebäudes führte, das zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erbaut worden war.
Sobald sie in der geschlossenen Liftkabine standen, bemerkte sie sein Unbehagen. »Das ist ein Aufzug. Wenn man einen dieser Knöpfe drückt, fährt er zum gewünschten Stockwerk. Meine Praxis liegt ganz oben, im achten«, fügte sie hinzu und drückte auf den alten Knopf.
Als sich der Lift bewegte, fragte Julian beklommen: »Sind wir hier sicher?«
Erstaunt hob sie die Brauen. »Fürchtet sich der Mann, der das römische Heer besiegt hat, vor einem Lift?«
»Die Römer habe ich verstanden«, entgegnete er ärgerlich. »Aber dieses Ding ist mir rätselhaft.«
Besänftigend legte sie einen Arm um seine Taille. »Da gibt’s nicht viel zu erklären.« Sie zeigte zur Falltür hinauf. »Außerhalb dieser Tür befinden sich die Kabel, die den Lift hinauf- und hinunterbefördern. Und hier gibt’s ein Telefon.« Sie wies auf den Hörer unterhalb der Knöpfe. »Wenn wir stecken bleiben, rufen wir einfach nur den Sicherheitsdienst an und werden befreit.«
»Bleibt der Lift oft stecken?«, erkundigte sich Julian erschrocken.
»Nein. In den vier Jahren,
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