Magie der Sehnsucht - Roman
Carmichael stand ihr gegenüber und starrte sie an. »Wer ist er?«
Zwischen Angst und Sorgen hin und her gerissen, erwiderte
sie seinen durchdringenden Blick. Am liebsten hätte sie sich auf ihn gestürzt. Aber obwohl er für einen Mann klein war, fühlte sie sich seiner Kraft nicht gewachsen, die sein Wahnsinn noch verstärken würde. Und so bekämpfte sie ihre aufsteigende Panik. Mit ruhiger Stimme fragte sie: »Was machen Sie hier?«
Spöttisch kräuselte er die Lippen. »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wem gehört die Männerkleidung in Ihrem Haus?«
»Das geht Sie nichts an.«
»Verdammt!«, kreischte er.
Würde er in der Liftkabine über sie herfallen? Nicht auszudenken …
»Alles, was Sie betrifft, geht mich was an.«
»Hören Sie mir zu, Mr Carmichael«, versuchte sie die Situation zu kontrollieren. »Wir kennen uns nur flüchtig. Warum Sie auf mich fixiert sind, weiß ich nicht. Wie auch immer, Sie dürfen mich nicht mehr belästigen.«
Zu ihrem Entsetzen drückte er auf den Knopf, der den Lift stoppte. »Jetzt hören Sie mir zu, Grace. Wir beide sind füreinander bestimmt. Das wissen Sie ebenso wie ich.«
»Also gut«, sagte sie so sanft wie möglich. »Sprechen wir in meiner Praxis darüber.« Grace drückte auf den Knopf für das Erdgeschoss.
Aber er hielt den Aufzug erneut an. »Nein – reden wir hier.«
Um ihre Nerven zu beruhigen, holte sie tief Atem. Wenn sie seine Wut schürte, wären die Folgen unabsehbar, und das musste sie verhindern. »In meinem Sprechzimmer hätten wir’s bequemer.«
Als sie wieder nach dem Knopf für das Erdgeschoss griff, hielt er ihre Hand fest. »Warum wollen Sie nicht mit mir reden?«
»Wir reden doch …« Unauffällig trat sie näher an das Telefon heran.
»Mit ihm unterhalten Sie sich stundenlang, nicht wahr? Sie stimmen in sein Gelächter ein … Und nur Gott weiß, was Sie sonst noch mit ihm treiben! Sagen Sie mir, wer er ist!«
»Bitte, Mr Carmichael …«
»Rodney!«, schrie er. »Verdammt, ich heiße Rodney!«
»Okay, Rodney, nun wollen wir …«
»Sicher hat er Sie überall angefasst mit seinen dreckigen Händen, nicht wahr?«, stieß er hervor und drängte sie in eine Ecke. »Wie oft haben Sie mit ihm geschlafen, seit Sie mich kennen?«
Entsetzt wich sie vor dem irren Glitzern in seinen kleinen Augen zurück. Jeden Moment würde er durchdrehen. Sie tastete hinter ihrem Rücken nach dem Telefon. Aber bevor sie es berührte, umklammerte er ihr Handgelenk. »Was zum Teufel machen Sie?«
»Sie brauchen Hilfe.«
»Nein!«, fauchte er und schmetterte das Telefon gegen die Knöpfe. »Nur Sie brauche ich. Reden Sie mit mir! Hören Sie? Das – ist – alles, – was – ich – brauche.« Bei jedem Wort hämmerte er das Telefon gegen die Knöpfe.
Hilflos beobachtete sie, wie der Apparat zerbrach. Und dann begann er an seinen Haaren zu zerren.
»Er hat Sie geküsst! Das weiß ich! Er hat Sie geküsst …« In einem fort wiederholte er diese Sätze. Büschelweise riss er sich die Haare aus.
Heiliger Himmel, sie war mit einem Wahnsinnigen in der Liftkabine gefangen. Und es gab keinen Fluchtweg.
Den Palm Pilot in der Hand, kehrte Julian in die Praxis zurück. »Wo ist Grace?«, fragte er Lisa, nachdem er einen Blick ins Sprechzimmer geworfen hatte.
»Haben Sie Dr. Alexander nicht getroffen? Ein paar Minuten nach Ihnen ist sie zum Auto hinuntergegangen.«
»Sind Sie sicher?«, fragte er besorgt.
»Ja, sie hat ein paar Akten in ihrem Wagen liegen lassen.«
Bevor er weitere Fragen stellen konnte, kam eine attraktive Afro-Amerikanerin herein, in einem konservativen schwarzen Kostüm, mit einem Aktenkoffer. Neben der Tür blieb sie stehen, schlüpfte aus einem Schuh und rieb sich die Ferse. »Typisch Montag, Lisa! Gerade musste ich acht Stockwerke heraufsteigen, weil der Lift stecken geblieben ist. Nun, welche wundervollen Neuigkeiten haben Sie für mich?«
»Hi, Dr. Livingstone.« Lisa blätterte in ihrem Terminkalender. »Um neun kommt Rodney Carmichael zu Ihnen.«
Bestürzt hielt Julian den Atem an.
»Nein, warten Sie«, fügte Lisa hinzu. »Das sind Dr. Alexanders Termine, und Ihre …«
»Sagten Sie – Rodney Carmichael?«, fiel Julian ihr ins Wort.
»Ja, er hat angerufen und seinen Termin vorverlegt.«
Julian warf den Palm Pilot auf Lisas Schreibtisch, dann stürmte er aus dem Büro und zum Lift. Sein Herz schlug wie rasend, und er kannte nur einen einzigen Gedanken. So schnell wie möglich musste er zu Grace gelangen.
Erst
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