Magie und Schicksal - 2
es wieder so werden würde wie früher.
Vorsichtig lässt sich Sonia neben mir nieder, als ob sie Angst hätte, ich würde es mir anders überlegen und jeden Moment aufspringen und das Zimmer verlassen. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
Ich hole tief Atem und schaue ihr dann in die Augen. »Nun, es ist einiges nicht in Ordnung, und das nicht erst seit gestern.«
Sie nickt. »Ja, aber wir arbeiten daran, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, nicht wahr?«
»Ich wollte nur sagen, dass … nun, dass es mir leidtut.«
Die Worte auszusprechen, fällt mir schwerer, als erwartet.
Sie nimmt meine Hand. »Ich weiß.«
Ihre Stimme ist freundlich, aber dass sie mein Bedauern widerspruchslos hinnimmt, empört mich. Ich versuche, die Bitterkeit, die in mir aufsteigt, zu unterdrücken, aber sie ist wie ein lebendiges Wesen, das mich innerlich auffrisst.
Ich lächle, obwohl sich das Lächeln wie eine Maske auf meinem Antlitz anfühlt. »Ich versuche genau wie du, die Dinge wieder ins Lot zu bringen.«
Ihr Lächeln ist traurig. »Ja, aber es gibt einen Unterschied zwischen uns.«
»Und der wäre?«
Sie hebt die Hände, die Handflächen nach oben gewandt, in einer Geste der Ergebung. »Du suchst Antworten auf die Rätsel, die uns die Prophezeiung aufgibt, und gibst dir Mühe, mir zu vergeben, während ich mich in mein Schicksal ergebe.« Sie zuckt die Schultern. »Du beherrschst alles. Ich kann nichts weiter tun, als warten.«
Ich will ihre Worte abtun, die Wahrheit in ihnen verleugnen. Aber Sonia hat recht. Ich habe alle Macht an mich gerissen, seit ich Altus verlassen habe. Und während ich nicke, mich erhebe und Sonias Zimmer verlasse, frage ich mich, ob ich diese Macht haben wollte, weil ich Angst vor Verrat habe – oder weil ich Vergnügen an dem Gefühl gefunden habe.
Das Abendessen ist zunächst eine steife Angelegenheit. Tante Virginia bemüht sich, uns mit Anekdoten und dem neusten Klatsch zu unterhalten, der innerhalb der Gesellschaft kursiert, aber die Spannung zwischen den Anwesenden ist deutlich spürbar.
Ich fühle mich wie gelähmt. Meine Grübeleien über das Versteck des Steins, das Gespräch mit Sonia und meine bevorstehende Aussprache mit James sorgen dafür, dass ich still bleibe. Angesichts der wirbelnden Gedanken in meinem Kopf fehlen mir schlicht und einfach die Worte.
Endlich reiße ich mich zusammen und gebe mir Mühe, mich so zu benehmen, wie es einer guten Gastgeberin ansteht.
»Gefällt Ihnen Ihr Zimmer?«, frage ich Helene und hebe das Weinglas an meine Lippen.
Sie legt die Gabel ab und nickt. »Ja, danke.«
»Und konnten Sie sich ein wenig von der Reise erholen?«
»Ja.«
Ihre Miene ist verschlossen, und ich frage mich, ob sie absichtlich so kurz angebunden ist oder ob sie einfach nicht in der Lage ist, ein entspanntes Gespräch zu führen.
»Es war bestimmt nicht einfach, deine Heimat zu verlassen. « Sonias Stimme ist weich. Sie erinnert mich an das Mädchen, als das ich Sonia in New York kennengelernt habe.
»Es war … nötig«, sagt Helene. »Aber es stimmt: Es ist nicht leicht, all das, was einem vertraut ist, zurücklassen zu müssen.«
Ich sehe, wie ihre stoische Fassade einen kleinen Riss bekommt.
»Ich weiß genau, wie du dich fühlst«, sagt Sonia. Die Begrüßung, bei der ich nicht zugegen war, hat Helene, Sonia und Luisa schnell miteinander vertraut werden lassen, sodass Sonia sich erlauben kann, eine intimere Anrede zu wählen als ich.
»Mich hat meine Familie zu einer völlig Fremden nach New York geschickt«, fährt Sonia fort. »Ich war noch ein Kind, aber ich kann mich gut daran erinnern, wie hilflos ich mich anfangs in der neuen Umgebung gefühlt habe.« Sie lächelt Helene zu. »Ich habe mich daran gewöhnt und du wirst es sicher auch tun.«
Helene setzt sich kerzengerade hin. Wieder fällt der Vorhang über ihre Miene. »Ich glaube, du hast die Sache missverstanden. Ich will mich nicht in London eingewöhnen. Ich will nach Spanien zurückkehren, so schnell wie möglich.«
Mit einem fragenden Blick wendet sich Luisa an Helene. »Warum bist du dann überhaupt gekommen?«
Helene stellt ihr Weinglas ab. Ihr zarter Hals bewegt sich, während sie den Wein schluckt. »Weil ich diesem Irrsinn ein Ende machen will. Ich habe es satt, in meinen Träumen verfolgt zu werden, habe es satt, im strahlendsten Sonnenschein düsteren Gedanken nachzuhängen. Je älter ich wurde, desto schlimmer wurde es. Wenn meine Anwesenheit hier dazu beiträgt, mich von dieser
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