Magie und Schicksal - 2
aufgefordert, weil er Feierabend machen will.
Auf Dimitris Gesicht liegt Enttäuschung. Ich bemühe mich um einen fröhlichen Ton, weil ich mir meine eigene trübe Stimmung nicht anmerken lassen will. »Na, einen Versuch war es wert.«
»Da bin ich mir nicht sicher«, murmelt er und reicht mir seinen Arm. »Aber eins weiß ich genau: Ich schulde dir eine anständige Mahlzeit, nachdem ich dich zu diesem langweiligen und ermüdenden Nachmittag gezwungen habe. Wir sollten fragen, ob es hier in der Nähe ein Gasthaus gibt, wo wir etwas essen können.«
Ich weiß, dass auch er seinen Unmut überspielt, weil er mich nicht entmutigen will, und ich drücke seinen Arm, während wir aus der Tür hinaus auf die Straße treten.
»Hm, schauen wir mal …« Dimitri blickt die Straße entlang und sucht nach einen Wirtshausschild, während wir langsam an den kleinen Geschäften und Kneipen vorbeigehen, die die Hauptstraße säumen.
Er schaut nach rechts und ich nach links, und da sehe ich jemanden um die Ecke huschen. Die Gestalt wäre mir nicht aufgefallen, wenn nicht ein gelber Mantel im Wind geflattert hätte. Dieses Gelb leuchtet wie die Sonne inmitten der braunen und grauen Bekleidung der Bewohner von Oldcastle. Unwillkürlich rutscht mein Arm von Dimitris Ellbogen.
Und dann renne ich los.
Die Straße ist rutschig, aber das kümmert mich nicht. Eben noch hat sich Verzweiflung in mein Gemüt geschlichen. Die Prophezeiung gibt uns nicht unbegrenzt Zeit.
Der Schlangenstein wird mit jedem Tag kälter und meine Schwester mächtiger. Wenn es auch nur eine geringe Chance gibt, dass Maeve McLoughlin die Antworten hat, die wir suchen, so ist es eine Chance, die wir nicht ungenutzt verstreichen lassen dürfen.
»Halt! Anhalten! Sie da in dem gelben Mantel! Bleiben Sie stehen!«, schreie ich im Laufen. Ich schiebe mich zwischen den Passanten hindurch, höflich und rücksichtsvoll, wenn möglich, grob und mit den Ellbogen, wo es nötig ist.
Es ist hier offensichtlich nicht ungewöhnlich, dass jemand einen anderen durch die Straßen jagt, denn niemand schenkt mir große Beachtung, außer einem Arbeiter, der mir nachruft: »Na, wo hamse denn Ihre Maniern?!«
Ich sause um eine Ecke und bete und hoffe, dass die Frau namens Maeve noch nicht in irgendeinem Loch verschwunden ist. Ich versuche, mein Gleichgewicht zu halten und taste nach der Hauswand, während ich erleichtert ihren gelben Mantel in der Menge vor mir aufblitzen sehe.
»Maeve McLoughlin!«, schreie ich, so laut ich kann. »Warten Sie! Ich tue Ihnen nichts! Versprochen!«
Beim Klang ihres Namens schaut sie sich um und ich erhasche einen Blick auf ein schmutziges Gesicht und ängstliche Augen. Die Passanten ringsum haben meine Rufe ebenfalls gehört und kommentieren sie auf ihre Weise.
»… verrückte Maeve … «
»Du weißt ja, wie sie ist …«
»… diese ganze McLoughlin-Sippe …«
Und dann ertönt hinter mir Dimitris Stimme. »Lia! Was hast du denn vor?«
Ich renne noch schneller. Ich habe jetzt keine Zeit für Fragen. Dimitri wird mir einfach folgen müssen. Reden können wir später noch, wenn ich Maeve McLoughlin erwischt habe.
Der Abstand zwischen uns verringert sich, während sie auf die Kreuzung vor uns zuläuft, und ich zwinge meine Beine, noch schneller zu rennen, obwohl meine Lungen schon vor Erschöpfung brennen. Als sie die Querstraße erreicht, bin ich kurz hinter ihr. Ich werfe mich nach vorn und packe ihren gelben Mantel, gerade als sie auf die Straße tritt.
Wir gehen beide zu Boden. Mir fliegt der Hut vom Kopf und mein Haar ergießt sich in dicken Locken über meine Schultern. Ich ziehe die Frau ein Stück zurück, gerade noch rechtzeitig, ehe sie von einem Pferdekarren überfahren wird.
Ich drehe sie auf den Rücken. Mein Atem rasselt in meiner Brust. Ich höre hastige Schritte hinter mir. Dimitri.
»Was in der Schwestern Namen machst du …« Er verstummt, als er sieht, wen ich da gepackt habe. Maeve versucht, sich meinem Griff zu entwinden und wieder wegzulaufen.
Sie sagt nichts. Nicht gleich. Sie schaut mir nur in die Augen, in denen die blanke Furcht steht, begleitet von unzähligen Fragen, von denen ich unwillkürlich weiß, dass sie sie schon seit Jahren in ihrem Herzen trägt.
»Bitte, laufen Sie nicht weg.« Meine Stimme ist so sanft und begütigend, als spräche ich zu einem kleinen Kind, was nicht so einfach ist, weil ich immer noch nach Luft schnappen muss. »Wir wollen Ihnen nichts tun. Wir wollen Ihnen nur ein paar Fragen
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