Magie und Schicksal - 2
stellen. Kann ich Sie jetzt loslassen? Werden Sie mit uns reden?«
Eine lange Weile starrt sie in meine Augen, während die Leute gleichmütig um uns herum gehen und sich gar nicht um uns kümmern.
Schließlich fällt Maeves Blick auf mein Handgelenk und das kleine Stück des Zeichens, das am Rand meines Ärmelsaums sichtbar ist. Ich will den Ärmel hinunterziehen und das Zeichen wieder verstecken. Aber als ich ihrem Blick begegne, sehe ich Verstehen in ihren Augen. Dann nickt sie.
»Also gut«, sagt sie.
21
I n einem kleinen Gasthaus am Rand der Stadt bestellen wir eine Mahlzeit für uns und für Maeve, die so aussieht, als könnte sie etwas Anständiges zu essen vertragen. Schweigend verspeist sie zwei Schalen heiße Suppe. Erst als wir uns nach der Mahlzeit Tee einschenken, wird sie gesprächig.
»Ich bin nicht verrückt.« Ihre Augen sind klar, und ich frage mich allmählich, ob Mr O’Leary Maeve uns gegenüber absichtlich in einem falschen Licht dargestellt hat, um uns in die Irre zu führen.
Dimitri reagiert nicht gleich auf ihre Äußerung, sondern nickt stattdessen erst in Richtung der leeren Suppenschale vor ihr. »Möchten Sie noch etwas Suppe?«
Maeve schaut auf die Schale, als ob sie das Angebot in Erwägung ziehen würde, doch dann schüttelt sie den Kopf. »Nein, danke. Aber es ist ein schönes Gefühl, satt zu sein.« Sie nickt ihm zu. »Danke.«
Dimitri nickt ebenfalls und lächelt. »Gern geschehen.«
Einen Augenblick sitzen wir noch schweigend da, ehe ich mir ein Herz fasse und die Frage stelle, die mir die ganze Zeit im Kopf herumspukt, auch wenn sie unhöflich ist. »Warum behaupten alle, Sie seien verrückt? Wenn Sie es doch nicht sind, meine ich.«
Sie scheint nicht gekränkt zu sein. »Weil ich Tag und Nacht herumwandere. Weil ich die Höhlen liebe. Und weil…« Sie verstummt und schaut an sich herab, an dem schmutzigen Mantel, den zerschlissenen Hosen, die fast so aussehen wie meine, nur abgetragener. »Nun, weil ich mich nicht wie eine anständige Dame kleide, vermute ich.«
Ich lächle und fühle eine Art Seelenverwandtschaft zwischen uns. »Ich weiß genau, was Sie meinen.«
Ihr Lächeln ist halbherzig, aber auch ich sehe einen Funken Kameradschaft in ihren Augen.
»Warum laufen Sie in der Grabanlage herum, wenn Mr O’Leary es Ihnen doch verboten hat?«, will ich wissen. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will Ihnen nichts vorwerfen!« Wieder hoffe ich, dass ich sie nicht beleidigt habe. »Aber Sie könnten verletzt werden.«
Sie verzieht angewidert das Gesicht. »Pah! Der alte Fergus würde mich nicht erschießen!« Dann scheint sie über ihre Worte nachzudenken. »Jedenfalls hoffe ich das.«
»Trotzdem«, wendet Dimitri ein. »Was ist so wichtig, dass Sie deswegen riskieren würden, verletzt zu werden?«
Mit ihrer Hand, die überraschend klein ist, umfasst sie den Henkel der Teetasse. »Es ist nicht wichtig«, murmelt sie, »aber besonders.«
»Was ist besonders?«, frage ich behutsam, weil ich sie nicht verschrecken will. »Die Höhlen?«
Sie nickt, wie zu sich selbst. »Die Höhlen, ja sicher, aber nicht alle.« Ihre Stimme klingt leise und ein wenig singend, als wolle sie ihre Zuhörer einschläfern. Ich fange an zu begreifen, warum die unwissenden Dorfbewohner sie für verrückt halten. Ich bin ganz anderer Meinung. »Es ist die eine Höhle. Eine von ihnen ist etwas Besonderes.«
Dimitri schaut zu mir, und wir beide wissen: Es ist die Höhle, die nicht auf Mr O’Learys Karte verzeichnet ist.
Ich wende mich wieder Maeve zu. »Und warum, Maeve? Warum ist diese Höhle etwas Besonderes?«
Sie betastet den Löffel, der neben ihrer Tasse auf dem Tisch liegt. Ich muss an mich halten, um nicht die Geduld zu verlieren. Ich spüre, dass wir kurz vor einem wichtigen Durchbruch stehen, vor einer Art Ordnung, die uns einen klaren Blick verschaffen wird, aber ich habe Angst, dass ich es vermasseln könnte, wenn ich sie zu sehr bedränge.
Endlich, ohne die Augen von dem Löffel abzuwenden, sagt sie: »Ich kann nicht darüber sprechen.«
»Warum?«, fragt Dimitri freundlich, aber drängend. »Ist es ein Geheimnis?«
Ein kurzes, trockenes Lachen dringt aus ihrer Kehle, und ein paar Leute an den Nebentischen schauen misstrauisch und mit grimmigen Gesichtern zu uns herüber. »Ein Geheimnis, oh ja, das könnte man sagen.«
Ich hole tief Atem. »Verraten Sie uns das Geheimnis?«
Mein Herz setzt einen Schlag aus, als sie mich anschaut. Dann verengen sich ihre
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