Magie und Schicksal - 2
eifersüchtigen der Frauen. Ich habe mich nie für besonders hübsch gehalten, und ich frage mich nun – etwas verwirrt –, ob ich es bin, oder ob es an Alices Haltung liegt, an ihrer Selbstsicherheit, ihrer Distanz, dass sie so viel Aufmerksamkeit erregt. Ich selbst halte den Kopf gesenkt, um nicht aufzufallen.
Als sie sich fast einen ganzen Häuserblock von mir entfernt hat, folge ich ihr, wobei ich mich bemühe, ihr leicht flatterndes Cape nicht aus den Augen zu verlieren. Ich rede mir ein, dass es unklug wäre, wenn ich mich zu schnell bemerkbar machte. Dass es klüger ist abzuwarten, wohin sie geht, vielleicht auf einen ruhigen Ort zu hoffen, an dem wir miteinander sprechen können.
Die Wahrheit ist: Ich habe Angst. Nicht vor Alice, nun, nicht wirklich. Nein. Ich habe Angst vor diesem letzten, endgültigen Gespräch. Angst davor, meine Hoffnung fahren zu lassen, meine letzte Hoffnung, dass sie mir helfen würde, Samael auf ewig zu verbannen.
Alice geht an den zahlreichen Geschäften vorbei, die die Straße säumen. Es ist ziemlich leicht, ihr unbemerkt zu folgen. Ich kenne nicht viele Menschen, die sich so selbstbewusst
bewegen wie Alice, und kaum jemanden, der so wenig auf seine Umgebung achtet wie sie.
Sie überquert die Straße, und ich beschleunige meine Schritte, erreiche die andere Seite, kurz bevor mir ein Strom aus Kutschen und Reitern den Weg abschneidet. Ich folge ihr noch eine Weile und bin gar nicht überrascht, als sie durch ein hohes Tor in einen Park einbiegt, der von der geschäftigen Welt der Stadt durch hohe, dicht belaubte Bäume abgeschirmt ist, die eine regelrechte Mauer bilden.
Es ist ein kleiner Park, und als ich durch das Tor trete, befinde ich mich auf einem schmalen Kiesweg. Alice rückt mir an einem solch beengten Ort unwillkürlich näher, und ich lasse mich zurückfallen, um nicht bemerkt zu werden. Wir gehen weiter, folgen dem Pfad, der sich unter den mit Sonnenflecken durchzogenen Schatten der Bäume hindurchschlängelt. Plötzlich bleibt Alice am Ufer eines Teichs stehen, und ich muss mich rasch hinter einem Baumstamm verstecken. Dann setzt sie sich auf eine Bank in der Nähe des Wassers. Ich sehe eine Entenfamilie vorbeipaddeln, und ich frage mich unwillkürlich, ob sie die Enten anlockt, wie wir es früher bei den Enten im See von Birchwood Manor gemacht haben.
Ich hole tief Atem und nehme all meinen Mut zusammen. Dann löse ich mich aus dem Schatten des Baums. Jetzt sag etwas , denke ich, als ich mich ihr von hinten nähere. Ihr so nah zu sein, bringt mich irgendwie aus dem Gleichgewicht, und ganz plötzlich überkommen mich die
unterschiedlichsten Gefühle: Verachtung, Trauer und… ja, und Liebe.
Selbst jetzt noch.
Ich bin nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt, will sie beim Namen nennen, als sie leise spricht: »Warum versteckst du dich, Lia? Komm doch her und setz dich neben mich.«
Ich bin überrascht, aber nicht über den Umstand, dass sie mich bemerkt hat. Es ist ihre Stimme, in der kein Ärger liegt, kein Zorn, keine Leidenschaft. Diese Stimme lässt mich aufhorchen.
Ich sage nichts, sondern gehe nur um die Bank herum und nehme neben ihr Platz.
Ich folge ihrem Blick über das Wasser und beobachte die Enten, die auf uns zupaddeln, in Erwartung von Brotkrumen oder einer anderen Leckerei.
»Weißt du noch, wie wir zu Hause immer zum See geritten sind und die Enten gefüttert haben?« Alices Stimme ist wehmütig, und ich sehe sie vor mir, wie sie vor mir her über die Felder von Birchwood reitet, stark und ungezähmt, das Haar wie eine Fahne hinter ihr herwehend.
»Ja.« Die Worte kommen mir nicht leicht über die Lippen, denn mein Herz ist schwer. »Du bist immer zu schnell geritten, viel zu weit voraus. Ich hatte Angst, dass du mich verlassen könntest.«
Ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. »Ich war nie so weit weg, wie du dachtest. Und ich hätte nicht zugelassen, dass uns irgendetwas trennt, egal, was du glaubst.«
Ich brauche eine Weile, um diese Behauptung zu verdauen. Selbst dieses kleine, scheinbar unbedeutende Bekenntnis verändert das Bild meiner Schwester vollständig. »Warum hast du es dann getan, wenn du wusstest, dass es mich ängstigt?«
Sie zuckt leicht mit den Schultern. »Vermutlich hat ein Teil von mir deine Abhängigkeit genossen. Deine Angst. Aber – ganz ehrlich –, ich weiß es nicht genau.«
Ich blicke wieder über das Wasser. Es kräuselt sich schwerfällig, grau und bleiern, obwohl die Sonne scheint. Ich weiß mit
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