Magie und Schicksal - 2
einem Mal nicht, was ich sagen soll. Wie ich anfangen soll. Suchend schaue ich zum gegenüberliegenden Ufer, betrachte das Gras, das dort wächst, die Bäume, als ob ich dort die Worte finden würde, die ich brauche. Aber es ist Alice, die zuerst das Wort ergreift.
»Ich weiß, dass er mich nicht liebt.«
Sie meint James. In mir ist kein Triumphgefühl. »Das wollte ich gar nicht sagen.«
Sie blickt auf ihre Hände, die in ihrem Schoß liegen. »Das musst du auch gar nicht. Ich sehe nur dich, wenn ich ihm in die Augen schaue.«
Ich lasse die Worte zwischen uns stehen. Nicht, um Alice zu kränken, sondern weil ich verzweifelt darüber nachdenke, wie ich sie für unsere Sache gewinnen kann, wenn sie glauben muss, dass James sie nicht liebt.
Mir bleibt nichts als die Wahrheit. »Ich vermag nicht zu sagen, wie die Dinge heute stehen, Alice. Aber James wird dich auf keinen Fall lieben, wenn du dich weigerst, gemeinsam
mit uns das Tor zu verschließen. Wenn er erfährt, dass du Samael in die Welt lassen willst, wird er sich von dir abwenden.«
»Es scheint, ich habe nur zwei Möglichkeiten.« Ihre Stimme ist leise und ohne die Aufsässigkeit, die immer so charakteristisch für meine Schwester war. »Entweder ich helfe dir und werde die Frau des Mannes, der immer nur meine Schwester lieben wird, oder ich nehme meinen Platz an Samaels Seite ein und beherrsche die Welt.« Sie dreht sich zu mir um. Ihre Augen sind von einem fast grellen Grün. »Was würdest du an meiner Stelle tun?«
Ich denke über ihre Frage nach, stelle mir vor, ich wäre sie. Aber die Antwort kommt wie von selbst.
»Ich würde mich weder mit dem einen, noch mit dem anderen abfinden«, sage ich. »Ich würde meine Zukunft selbst gestalten. Eine Zukunft, in der ich geliebt werde, wahrhaftig geliebt, und eine Zukunft, in der ich nicht Macht für Liebe eintauschen muss.«
Sie hält meinen Blick ein paar Sekunden lang fest und ich sehe einen Anflug von Zweifel in ihren Augen. Aber die Flamme erlischt so schnell, wie sie aufgeflackert ist, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich ihren Ausdruck richtig gedeutet habe.
Sie schaut wieder aufs Wasser. »Dann bist du ein besserer Mensch als ich, Lia.« Sie lächelt freudlos und ihre nächsten Worte sind mit Sarkasmus gewürzt. »Aber das wussten wir ja beide schon längst, nicht wahr?«
Ich will nicht an Alices Behauptung denken, dass ich
immer der Liebling unserer Eltern war. »Wir alle haben unsere eigene Vorstellung von den Dingen, unseren eigenen Blickwinkel. Aber was immer du auch denken magst, Alice, Vater liebte dich. Er liebt dich immer noch. Genauso wie wir alle.«
Sie hebt das Kinn und weicht meinem Blick aus. »Alle außer James.«
Ich stehe auf und gehe zum Wasser. Ohne mich umzuwenden, sage ich: »James … nun, die Sache mit James ist meine Schuld. Ich habe …« Mir bleiben die Worte im Hals stecken, denn jetzt empfinde ich bei dem Gedanken daran, wie rücksichtslos ich mich ihm gegenüber verhalten habe, dass ich ihn einfach verlassen habe, unsagbare Trauer. »Ich habe mich nicht so benommen, wie ich es hätte tun sollen. Ich habe zu viele Fragen unbeantwortet gelassen, habe ihm keine Gelegenheit gegeben, sich von mir zu lösen.« Jetzt drehe ich mich um. »Aber verstehst du denn nicht, Alice? All das spielt keine Rolle mehr. Ich liebe Dimitri. James und ich – unsere Liebe gehört einer anderen Zeit an. Einem anderen Ort. Wenn du an meiner Seite das Tor verschließt, kannst du noch einmal ganz neu anfangen. Mit James. Du hättest die Chance auf ein Leben, das du glücklich und voller Liebe leben kannst, voller wahrhaftiger Liebe, ohne die Last der Prophezeiung auf deinen Schultern.«
Sie schweigt eine Weile, aber als sie antwortet, spricht sie nicht von James. »Wusstest du, dass ich dich und Vater oft in der Bibliothek beobachtet habe? Ich blieb vor dem
Fenster stehen oder im Türrahmen und schaute zu, wir ihr miteinander gelacht und über Bücher gesprochen habt. Es schien so leicht, wie du an allem Anteil nahmst, aber als ich versuchte, ein Interesse an der Bibliothek und Vaters Büchern zu zeigen, hat er nur mit halbem Ohr hingehört, stets begierig darauf, wieder zu dir zurückzukehren.«
Ich seufze. »Vater wusste vermutlich, dass du dich nicht wirklich für die Bibliothek interessiert hast, Alice. Er hat dein Bemühen sicherlich anerkannt, wollte aber nicht, dass du es nur ihm zuliebe auf dich nimmst.«
»Aber gewiss doch. Es besteht natürlich nicht die Möglichkeit, dass
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