Magie und Schicksal - 2
mitten in die Gefahr hineinführen muss, dann will ich mich der Verantwortung dieser Anführerschaft wenigstens würdig erweisen.
»Ich weiß nicht, ob ich die Kraft oder die Autorität besitze, das Tor ohne Alices Hilfe zu schließen. Vielleicht ist es ein unmögliches Unterfangen. Aber wenn ich es nicht versuche, wenn ich warte …« Ich schaue sie eine nach der anderen an, weil ich will, dass sie das Risiko erkennen, das ein Zögern beinhalten würde. »Dann würde ich auf meinen Tod warten. Würde darauf warten, dass ich in den Abgrund verbannt werde. Und dann wird niemand das Tor schließen können, bis ein neuer Engel benannt wird. Was Jahrhunderte dauern könnte.«
»Wir alle könnten auf diese Weise untergehen.« In Helenes Stimme liegt eine deutliche Anklage.
Ich zögere. »Vielleicht, obwohl ich das nicht glaube. Bitte nehmt mir das nicht übel, aber ich glaube, dass ihr ohne mich für Samael und die Seelen nicht von Nutzen seid. Ich bin der festen Überzeugung, dass ihr nicht in Lebensgefahr seid, was immer in Avebury passieren wird.«
»Aber sicher bist du dir nicht«, hakt Helene nach.
Ich schüttele den Kopf. »Nein.«
»Aber, Lia … «, setzt Brigid vorsichtig an. »Wenn du das Tor nicht schließen kannst, wirst du dann nicht ganz sicher sterben? Was, wenn das Ritual dich in die Anderswelten zieht? Wären die Seelen dann nicht in der Lage, dich dort festzuhalten, geschwächt wie du bist?«
Ich werfe Dimitri einen Blick zu, bevor ich antworte. Meine Bereitschaft, mein Leben aufzugeben, ist für ihn ein schweres Los.
»Möglich, ja. Aber ich kann nicht … ich kann nicht länger hier herumsitzen und warten, bis die Seelen mich so kraftlos gemacht haben, dass ich ihnen freiwillig in den Abgrund folge. Ich bin …« Ich muss absetzen, um meine zitternde Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Ich bin müde. Ich möchte die Sache beenden, um unser aller Willen, anstatt endlos zu warten und damit uns allen endlose Qualen zu bescheren.«
»Also reiten wir nach Avebury, rechtzeitig zum Sonnenaufgang an Beltane, vollziehen die Beschwörung und … was dann? Versuchen wir, das Tor ohne Alice zu schließen? «
Ich nicke. »Ich werde alle mir zur Verfügung stehende
Macht aufbringen und möchte euch bitten, das Gleiche zu tun. Und gemeinsam werden wir versuchen, das Tor ohne meine Schwester zu verschließen. Es ist riskant, aber noch riskanter ist es, ein weiteres Jahr zu warten.« Meine Hand streicht nervös über meinen Rock und mein Zeigefinger verfängt sich in einem losen Faden.
»Und wenn es uns ohne sie nicht gelingt?«, fragt Sonia leise.
Ich zucke mit den Achseln. »Dann komme, was mag. Vermutlich werde ich in den Abgrund gezogen und ihr könnt in euer Leben zurückkehren, in das Leben, das ihr euch verdient habt. Es ist ein Opfer, das ich bereit bin zu bringen, um meine eigene Qual zu beenden und euch die Freiheit zu garantieren.« Ich schaue zu Tante Virginia und betrachte ihr abgehärmtes Gesicht. »Euch allen.«
Luisa schaut zu Dimitri. »Ich vermute, du hast schon versucht, ihr die Sache auszureden, oder?«
Er hat die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Kieferknochen treten deutlich hervor und er kann seine Wut kaum noch kontrollieren. »Die ganze Nacht lang.«
Luisa nickt und wendet sich zu mir. »Dann bleibt uns nichts weiter übrig, als dir zu helfen, Lia. Dir zu helfen, den Frieden zu finden, den du brauchst. Ich für meinen Teil werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit du ihn bekommst.«
»Ich auch«, sagt Brigid.
Wir schauen Helene an. Sie strafft die Schultern und seufzt vernehmlich. »Also gut, wenn ich danach von dieser
ganzen Angelegenheit nie mehr etwas hören brauche und unverzüglich nach Spanien zurückkehren kann, dann bin ich bereit.«
Bilde ich es mir nur ein, oder löst sich bei allen Anwesenden eine erwartungsvolle Spannung? Jedenfalls bin ich erleichtert, dass Helene zu uns steht.
Mein Blick fällt auf Sonia. Sie steht auf, kommt zu mir und setzt sich neben mich. »Ich würde mich klaglos in mein Schicksal ergeben, wenn ich mein Leben lang ein Schlüssel sein müsste, aber wenn du es so haben willst, Lia, werde ich mit dir gehen. Es gibt nichts, was ich nicht für dich tun würde.«
Tränen der Dankbarkeit treten mir in die Augen. Ich kämpfe sie nieder und drücke Sonia und Luisa kurz die Hand, bevor ich aufstehe.
»Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Wir reisen so schnell wie möglich ab.«
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E ine Woche ist inzwischen vergangen. Als ich
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