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Magie und Schicksal - 2

Magie und Schicksal - 2

Titel: Magie und Schicksal - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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Fleisch, seiner Seele.
    Er löst seine Hände aus meinen Haaren und legt sie mir auf die Schultern.
    »Lia, Lia …« Er nimmt meine Hand, dreht sie um und küsst meine Handfläche. Dann fährt er mit seinen Lippen über die zarte Haut auf meinem Handgelenk, hinterlässt einen Kuss auf der Wölbung des Zeichens. Dann blickt er zu mir hoch. »Ich hatte gehofft, dass ich dich ein ganzes Leben lang halten und lieben dürfte.«
    Sanft berühre ich mit den Fingerspitzen seine Stirn, ehe meine Hand wieder in meinen Schoß fällt. Ich weiß nicht, wie ich ein Lächeln zustandebringen kann, aber seine Liebe macht mich stark, und es gelingt.
    »Ich verspreche dir, dass ich kämpfen werde, Dimitri.
Ich werde kämpfen, um bei dir zu bleiben. Den Rest muss ich dem Schicksal überlassen.«
    Er nickt und ich schiebe mich unter die Decke, lege meinen Kopf auf das Kissen. »Tu, was du tun musst. Und komm zu mir zurück.«
    Er küsst mich noch einmal auf die Lippen und setzt sich dann auf den Sessel. Wenn wir die Arme ausgestreckt hätten, hätten wir uns an den Fingerspitzen berühren können. Aber mir ist, als ob er schon eine Million Meilen weit weg wäre.
    Ich schließe die Augen, leere meinen Geist und gleite in jenen Halbschlaf, der mich auf die Schwingen führt, ohne dass ich ganz und gar die Kontrolle über die Lage verliere. Ich denke an meine Eltern – an die grünen Augen meiner Mutter und an Vaters dröhnende Stimme. Ich denke an Henry und an sein ansteckendes Lächeln, das nicht nur seine eigenen Augen erleuchtete, sondern unser aller Augen.
    Ich denke an sie. Stelle mir ihre Gesichter vor. Und dann falle ich.
     
    Ich bin mir sicher, dass ich sie auf den Feldern von Birchwood treffen werde. Es ist der geeignete Ort, um Lebewohl zu sagen.
    Diesmal gehe ich an dem Fluss hinter dem Anwesen vorbei. Alles ist noch genauso, wie ich es in Erinnerung habe. Das Haus, das mein Urgroßvater erbaute, lugt zwischen den mächtigen Eichen hindurch. Es wirkt großzügig
und heimelig. In dieser Welt haftet ihm nichts Düsteres oder Bedrohliches an.
    Ich empfinde einen Anflug von Trauer, als ich den großen Felsen erreiche, an dem James und ich uns immer trafen. Vielleicht teilt er diesen Ort nun mit Alice. Der Fluss plätschert und gurgelt fröhlich dahin, und mir wird plötzlich klar, dass sich jedes Gewässer anders anhört. Das ergibt keinen Sinn. Sie sollten alle gleich sein. Egal, wo ein Fluss fließt, im Grunde genommen ist es nichts anderes als Wasser über Felsen oder Kiesel. Aber dies ist mein Fluss, und er begrüßt mich wie einen verloren geglaubten Freund.
    Ich schließe die Augen und stehe am Ufer, konzentriere mich auf die Bilder meiner Familie, bis ich schwere Stiefelschritte höre, unter denen das trockene Laub auf dem Pfad knistert.
    Ich hätte vorbereitet sein sollen. Ich wusste schließlich, dass sie kommen würden, denn ich habe sie gerufen, mit aller mir zur Verfügung stehenden Macht, aber es trifft mich dennoch wie ein Schock, als ich mich umdrehe und meine Eltern und Henry auf mich zugehen sehe.
    Henry kann laufen.
    Die Trauer verfliegt im Nu, denn als er lächelt, kann ich nicht an mich halten: Ich renne auf ihn zu. Da sind auch meine Eltern, ich weiß, aber es ist mein Bruder, nach dessen Umarmung ich mich sehne.
    Er umklammert mich mit einer Kraft, die er im Leben nie hatte. Noch nie habe ich ihn so stark erlebt. Er war an den Rollstuhl gefesselt. Er lebte und starb in ihm. Die Tränen
fließen mir über die Wangen, während ich ihn festhalte. Jetzt ist er endlich frei.
    »Henry! Oh Henry!« Mehr kann ich nicht sagen. Ich ertrinke in einem Gefühl, das ich nicht einmal benennen kann.
    »Lia! Ich kann laufen! Siehst du das, Lia? Ich kann laufen! « Seine Stimme ist noch so wie früher, die hohe, kindliche Stimme, voller Begeisterung, die so typisch für ihn war.
    Ich trete einen Schritt zurück und betrachte ihn. »Ich sehe es, Henry. Ich sehe es. Und du läufst ganz wunderbar. «
    Sein Grinsen ist so weit wie der blaue Himmel über uns. »Und warum weinst du dann?«
    Ich lache und wische mir mit dem Handrücken die Tränen ab. »Weil ich so voller Glück bin, Henry. In mir ist nicht genug Platz für all dieses Glück.«
    Neben Henry kichert mein Vater leise, und jetzt wende ich mich meinen Eltern zu.
    Ich umarme meinen Vater, halte ihn ganz fest und atme den Duft nach Pfeifentabak und Zedernholz ein. »Vater. Ich habe dich so vermisst.«
    »Und ich dich, meine Tochter.«
    Ich wende mich zu meiner Mutter und

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