Magie
sie wusste, dass er sie nicht anrühren durfte, zwängte sie sich an ihm vorbei.
Ihr Vater war nicht da gewesen. Enttäuscht und frustriert war sie in ihr Quartier zurückgekehrt.
An diesem Abend würde sie ihn jedoch sehen - in Gesellschaft ihres voraussichtlich zukünftigen Ehemanns. Sie hatte die Brauen zusammengezogen, glättete jetzt jedoch ihre Stirn und beugte sich vor, damit Vora ihr mehrere schwere Perlenketten über den Kopf streifen konnte.
»Also, verratet mir eins, Herrin: Wann dürft Ihr das Herrenzimmer verlassen?«, fragte Vora. Die Sklavin hatte Stara die ganze Woche über mit einheimischen Sitten vertraut gemacht und sie den ganzen Nachmittag geprüft.
»Nachdem mein Vater und die Gäste gegangen sind.«
»Wann müsst Ihr den Raum verlassen?«
»Wenn mein Vater mich dazu auffordert. Oder wenn ich plötzlich mit anderen Männern allein bin. Es sei denn, es wären andere Frauen zugegen, oder mein Vater hätte mich zum Bleiben aufgefordert.«
»Richtig, Herrin.«
»Was ist, wenn mein Vater sagt, ich müsse bleiben, im Raum jedoch nur andere Männer zugegen sind?«
»Dann tut Ihr, was Ashaki Sokara verlangt.«
»Selbst wenn ich das Gefühl hätte, in Gefahr zu sein? Selbst wenn einer der Männer sich, ähm, ungehörig benähme?«
»Selbst dann, Herrin, aber Ashaki Sokara würde Euch nicht in eine solche Situation bringen.«
»Das ist doch idiotisch. Was ist, wenn er die Männer falsch einschätzen würde? Was, wenn er in Eile aufbräche und mir befehlen würde zu bleiben, ohne nachzudenken? Gewiss wäre es ihm als meinem Vater lieber, ich würde Maßnahmen zu meinem eigenen Schutz ergreifen, als zuzulassen, dass sein Fehler zu einem... Missverständnis oder einem taktischen Irrtum führt. Es muss doch einen Punkt geben, an dem selbst er einsehen würde, dass blinder Gehorsam töricht wäre.«
Vora antwortete nicht, sondern presste nur missbilligend die Lippen zusammen, wie sie es immer tat, wenn Stara etwas gegen die sachakanischen Sitten oder ihren Vater sagte. Das wiederum machte Stara stets wütend und weckte ihren Trotz.
»Blinder Gehorsam ist etwas für Sklaven, für die Ungebildeten und die Jämmerlichen«, erklärte Stara, ging zu dem Wasserkrug auf dem Beistelltisch und schenkte sich ein Glas ein.
»Wir sind alle Sklaven, Herrin«, antwortete Vora. »Frauen. Männer auf ihre Weise. So etwas wie Freiheit gibt es nicht, nur verschiedene Arten der Sklaverei. Selbst ein Ashaki muss sich
den Einschränkungen von Sitte und Politik unterwerfen. Und der Kaiser ist erst recht an diese Dinge gebunden.«
Während Stara trank, betrachtete sie die Frau und dachte über ihre Worte nach. In was für einem traurigen Zustand dieses Land ist. Dennoch ist es das mächtigste Land weit und breit. Ist das der Preis der Macht? Aber vermutlich trifft es auch auf Elyne zu, dass Frauen und Männer Sklaven der Sitten und der Politik sind. Und die einfachen Leute müssen, auch wenn sie keine Sklaven sind, dem Landbesitzer oder Arbeitgeber gehorchen. Vielleicht unterscheiden wir uns gar nicht so sehr von ihnen.
Aber in Elyne konnte niemand - nicht einmal jemand aus einfachsten Verhältnissen - dazu gezwungen werden, eine Ehe zu schließen, die er nicht wollte. Die Menschen konnten aus dem Dienst eines Landbesitzers oder Arbeitgebers ausscheiden und für jemand anderen arbeiten. Sie wurden für ihre Arbeit bezahlt.
»Herrin, es wird Zeit«, sagte Vora. Als Stara sich zu ihr umdrehte, wurden die Augen der Frau schmal. »Ihr seht annehmbar aus.« Dann zuckten ihre Mundwinkel nach oben. »Nein, Ihr seid wunderschön, Herrin.«
Stara zog die Brauen zusammen. »Mein Aussehen hat mir stets nur Ärger eingebracht, und das wird heute Abend wahrscheinlich wieder geschehen.«
Vora schnaubte leise, dann deutete sie auf die Tür. »Ich bin davon überzeugt, dass Ihr Euer Aussehen nie dazu missbraucht habt, andere zu manipulieren, erst recht nicht im Geschäft.«
»Ein einziges Mal, aber das hat genau das Gegenteil dessen bewirkt, was ich mir erhofft hatte.« Stara ging zur Tür. »Wenn dein Aussehen alles ist, was die Menschen wahrnehmen, haben sie keine Achtung mehr vor deinem Verstand.«
»Dann unterschätzen sie Euch, Herrin. Das ist eine Schwäche, die Ihr ausbeuten könnt«, bemerkte Vora, während sie ihr folgte.
Stara machte sich auf den verschlungenen Weg durch die Flure des Hauses. Für eine Sklavin war Vora unerwartet freimütig. Und herrisch. Sie ließ es der Frau durchgehen, weil sie
es nicht gewohnt
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