Magie
Augenblicken hatte er leise geschnarcht, und es hatte so ausgesehen, als drohe er gegen Dakons Schulter zu sinken - sie hatte halb gehofft, dass er es tun würde, nur um seine Verlegenheit mit ansehen zu können, aber gleichzeitig hatte sie gehofft, dass es nicht geschehen würde, da es auch für Lord Dakon peinlich gewesen wäre. Jetzt weiteten sich seine Augen vor Hoffnung.
»Ein Licht«, sagte er. »Wir sind fast da - endlich.«
Als Tessia sich umdrehte, sah sie ein einzelnes, einsames Licht vor dem Wagen. Es flackerte in der nebligen Luft. Als sie näher kamen, stellte sie fest, dass es sich um eine simple Öllampe handelte, die dort, wo eine andere Straße die Hauptdurchgangsstraße kreuzte, an einem Pfosten hing. Tanner lenkte die Pferde in die Seitenstraße.
Während das Licht hinter ihnen schrumpfte, fragte Tessia sich, ob sie die Abzweigung gefunden hätten, wäre dieser Wegweiser nicht gewesen. Sie vermutete, dass ihr Gastgeber einen Diener mit der Lampe ausgeschickt hatte.
Die Straße war jetzt weniger gefurcht, die Fahrt weniger holprig. Die Pferde verlangsamten ihren Schritt, während die Straße allmählich einen Hügel hinaufführte. Sie freute sich darauf, das Haus ihres Gastgebers zu sehen, aber auf die Begegnung mit ihrem Gastgeber freute sie sich keineswegs. Was, wenn die Brücke tatsächlich aufgrund von Vernachlässigung eingestürzt war? Sie hatte sich während der vergangenen Stunden gegen eine solche Wendung der Ereignisse gewappnet und erwartete, dass sie dem Mann einen Respekt erweisen musste, den sie nicht empfand, und dem Drang, ihre Meinung zu sagen, würde widerstehen müssen.
Der Wagen bog um eine scharfe Kurve und brachte sie in ein Tal. Als sie sich umdrehte, sah Tessia, dass am gegenüberliegenden Ende dieses Tals eine breite Steinfassade im Licht vieler, vieler Lampen erstrahlte.
Das Haus war größer als Dakons Herrenhaus. Größer als jedes Gebäude, das sie je zuvor gesehen hatte. Eine hohe Mauer erstreckte sich über die ganze Breite des Tals, durchbrochen
von zwei Türmen. Die einzigen Fenster darin waren winzige Scharten hoch oben. In der Mitte der Mauer befand sich ein riesiges zweiflügliges Tor.
»Lord Gilars Herrenhaus«, sagte Lord Dakon. »Es wurde gebaut, bevor die Sachakaner Kyralia eroberten, als es noch wenige Magier gab und es sich lohnte, Festungen dieser Art zu erbauen, die im Grunde nur nichtmagische Angriffe abwehren können.«
Als der Wagen sich dem Tor näherte, schwangen die Flügel langsam auf. Sie rollten hindurch in einen schmalen Innenhof. Vor ihnen ragte eine weitere Mauer auf. Sie passierten einen zweiten, türlosen Durchgang und gelangten in einen überdachten, gepflasterten Bereich. Durch eine große hölzerne Doppeltür an der Frontseite des Hauses trat ein nicht allzu hoch gewachsener, dünner Mann mit grau gesträhntem schwarzem Haar.
»Lord Gilar«, sagte Dakon, während er ausstieg.
»Lord Dakon«, erwiderte der Mann. Die beiden umfassten einander kurz an den Oberarmen. Als Jayan, Tessia und Malia den Wagen verließen, kamen Diener durch eine Nebentür. Einer trat vor und wechselte einige leise Worte mit Tanner, der jetzt das Halfter eines der Pferde hielt. Eine Dienerin winkte Malia zu sich, die lächelte und auf die Frau zuging.
»Meisterschüler Jayan habt Ihr bereits kennengelernt«, begann Dakon.
»In der Tat«, antwortete Gilar mit einer leicht heiseren Stimme. »Willkommen, junger Mann. Und dies ist Eure neue Meisterschülerin?« Lächelnd drehte er sich zu Tessia um. »Die, die Ihr in Eurem Brief erwähnt habt?«
»Dies ist Meisterschülerin Tessia«, erklärte Dakon. »Ein Naturtalent - die Tochter Verans, des Heilers von Mandryn.«
»Willkommen, Meisterschülerin Tessia«, sagte Gilar.
»Vielen Dank, Lord Gilar.«
Er wandte sich wieder Dakon zu und deutete auf die Doppeltür. Die beiden Magier traten hindurch. Jayan folgte ihnen. Tessia bildete das Schlusslicht und bemerkte, dass Malia mit
der Dienerin verschwunden war. Sie war sich plötzlich unsicher, was ihren eigenen Platz betraf.
Ich war nie Teil einer Dienstbotenwelt, in der ich mich um die Belange von Menschen gekümmert hätte, die wichtiger und wohlhabender waren als ich. Aber ich war auch kein Teil der Welt der Mächtigen. Mit einem Mal überfiel sie das Gefühl, Glück gehabt zu haben, dass sie in jenem ungewöhnlichen Bereich zwischen zwei gegensätzlichen Welten aufgewachsen war; sie war einem mächtigen Mann unterstellt gewesen, hatte aber einen
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