Magie
wenn jemand versucht, etwas zu stehlen?«
Tessia hielt inne, sah sich um und lächelte. »Was? Während du mit Tanner im Wagen sitzt? Das würden sie nicht wagen.«
Es war nicht einfach, in einem Kleid aus einem Wagen zu steigen - zumindest nicht, wenn man auch nur einen Anflug von Würde wahren wollte. Der Saum verfing sich an einer Ecke, daher nahm sie sich Zeit, ihn loszumachen.
»Aber da draußen herrscht das reinste Chaos«, meinte Malia nervös.
»Ein Grund mehr für mich nachzusehen«, erwiderte Tessia und streckte ein Bein aus. Sie erreichte den Boden nicht ganz, war aber nahe genug. Schließlich ließ sie sich fallen.
Und spürte, wie ihr Fuß tief in den Schlamm sank.
Sie blickte hinab und hob ihren Rock hoch genug, um zu sehen, dass die zierlichen Stiefel, die Malia aus irgendeinem Fundus an Frauenkleidern im Herrenhaus ausgegraben hatte - wahrscheinlich hatten sie Dakons Mutter gehört -, zur Gänze im Schlamm versunken waren. Die Stiefel waren ein Kompromiss gewesen. Tessia hatte kräftige Stiefel für die Reise haben wollen, Malia dagegen hatte gewollt, dass sie elegante Schuhe trug, wie sie den Höflingen am Palast würdig waren.
Jetzt hielt sie sich am Wagen fest, tastete mit ihrem anderen Fuß den Boden ab und suchte nach einer festeren Stelle. Glücklicherweise fand sie sie einen bloßen Schritt entfernt. Nachdem sie jetzt mit einem Bein einen sichereren Stand hatte, wollte sie das andere nachziehen.
Ihr Fuß rutschte aus ihrem zierlichen Stiefel, der sofort begann, zu versinken und sich langsam mit Schlamm zu füllen.
»Seht Ihr, was ich meine?«, fragte die Dienerin bekümmert. »Ihr habt sie wahrscheinlich verdorben. Soll ich den Stiefel ausgraben?«
Tessia blickte zu Malia auf und wurde von Gewissensbissen befallen. Das arme Mädchen würde eine Menge Arbeit damit haben, heute Abend den Schlamm von Kleidern und Schuhen zu bürsten. Aber mit einem weiteren Blick auf das ungeeignete Schuhwerk entschied sie, dass schlammige Stiefel niemanden
daran hindern sollten, anderen zu helfen. Doch das war auch kein Grund, Malia das Leben unnötig schwer zu machen.
Ohne auf die Kopfschmerzen zu achten, die ihr von Dakons Lektionen geblieben waren, konzentrierte Tessia sich auf den Boden und sandte ihren Willen aus. Der Schlamm begann, von dem Stiefel wegzufließen, bis dieser sich mit einem glucksenden Geräusch löste. Sie packte ihn, kippte ihn um, um den restlichen Morast herausfließen zu lassen, dann schlüpfte sie wieder hinein. Malia protestierte wortlos.
Tessia blickte auf und zuckte die Achseln. »Wenn ich ohne Schuhe umherlaufe, werde ich mir auch die Strümpfe ruinieren.«
Malia rümpfte die Nase.
Tessia wandte sich ab und ging auf die Brücke zu. Sie bemerkte, dass in der Nähe ein großes Pferd festgemacht stand; das zerbrochene Geschirr hing ihm noch immer von den Flanken und vom Hals. Jayan und Dakon standen, die Hände in die Hüften gestemmt, vor der eingestürzten Brücke, und nach dem Ausdruck auf ihren Gesichtern zu schließen, stritten sie. Als sie näher kam, fing sie einige Worte auf.
»... mich es tun.«
»Nein, man kann ihm dabei leicht eine Rippe brechen oder...«
Als sie die Überreste der Brücke umrundet hatte, sah sie, worüber die beiden diskutierten. Ein Mann klammerte sich mitten im Fluss an einen der geborstenen Stützpfeiler. Er trug das typische Lederwams eines Schmiedes. Ich kann nicht glauben, dass sie darüber debattieren. Er könnte jeden Augenblick vom Wasser mitgerissen werden.
»Wie lange hält er sich schon dort fest?«, fragte sie und trat neben Dakon. »Er sieht müde aus.«
Jayans Mund schloss sich mit einem hörbaren Klacken, und er wandte den Blick ab. Dakon sah sie an, dann schaute er wieder zu dem unglücklichen Schmied hinüber. Seine Augen wurden schmal.
Der Mann riss die Augen auf, als er sich von dem Pfeiler wegzubewegen begann. Er schrie auf und klammerte sich an
den Balken, und als er zu weit davon weggezogen wurde, griff er stattdessen in die Luft. Dann begriff er, dass er sich nach oben bewegte, statt in die reißenden Fluten zu stürzen, und er erschlaffte. Es war ein seltsamer Anblick, dieser durchweichte, benommene Mann, der langsam auf das Flussufer zutrieb.
Als seine Füße den Boden berührten, gaben die Beine unter ihm nach, und er brach zusammen. Tessia ging zu ihm hinüber. Er schien keine Verletzungen zu haben. Sein Blick war trübe, und seine Atmung ging in hastigen Stößen. Sie tastete nach seinem Puls und zählte.
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