Magie
Strafen, erwachsene Kinder Befehle entgegengenommen. Offenbar hatte Jayans Vater
auch jetzt die Absicht, ihm seinen Willen aufzuzwingen. Jayan würde vorsichtig sein müssen.
Allerdings wirkte Lord Karvelan aus dem Geschlecht Drayn nun kleiner und faltiger, als sei er während der wenigen Jahre, seit Jayan ihn das letzte Mal gesehen hatte, ein wenig ausgetrocknet. Doch in seiner Haltung und der Direktheit seines Blickes lag noch immer Stärke. Jayan hielt diesem Blick stand, lächelte höflich und wartete darauf, dass sein Vater das Wort ergriff. Man wartete immer darauf, dass Karvelan das Wort ergriff. Es war sein Recht als Vorstand des Haushaltes, ein Recht, auf dem er bestand.
»Willkommen, Meisterschüler Jayan«, sagte Karvelan.
»Vielen Dank, Vater«, erwiderte Jayan. »Habt Ihr meine Nachricht erhalten?«
Karvelan nickte. »Ich nehme an, unsere Briefe haben sich gekreuzt.«
»So scheint es«, erwiderte Jayan und hob das schroffe Schreiben hoch, das er an diesem Morgen erhalten hatte, nicht lange nachdem er pflichtschuldigst seinen eigenen Brief abgeschickt hatte, in dem er seinen Vater von seiner Anwesenheit in der Stadt in Kenntnis gesetzt und sich erkundigt hatte, ob er ihn besuchen solle.
»Setz dich«, sagte Karvelan und deutete mit dem Kopf auf den anderen Sessel. Jayan gehorchte. Karvelan schwieg einen Moment lang, und seine Miene war nachdenklich. Seltsam, dass ich ihn in Gedanken niemals »Vater« nenne. Immer »Karvelan«. Aber Mutter war immer »Mutter«.
»Wie geht es mit deiner Ausbildung voran?«, fragte Karvelan schließlich.
»Sehr gut«, antwortete Jayan.
»Bist du dem Abschluss näher gekommen?«
»Ja, aber ich kann nicht sagen, wie nahe. Diese Frage kann nur Dakon beantworten.«
»Bei deinem letzten Besuch warst du fast fertig.« Karvelan runzelte die Stirn. »Ist es wahr, dass er noch einen Meisterschüler hat?«
Jayan nickte. »Ja.«
Die Falte zwischen seinen Brauen wurde tiefer. »Es wird deine Ausbildung gewiss verzögern. Er hätte warten sollen, bis du fertig warst.«
»Er hatte keine Wahl. Sie ist ein Naturtalent und gefährlich, wenn man sie nicht ausbildet. Er ist von Gesetzes wegen dazu verpflichtet, sie auszubilden.«
Die Augen seines Vaters wurden schmal, und Jayan erwartete beinahe, dass der alte Mann ihn schelten würde. Stattdessen verzog er das Gesicht. »Dann hätte er sie anderswo hinschicken sollen.«
Jayan zuckte die Achseln. »Das hätte er wahrscheinlich getan, wenn ich dem Ende meiner Ausbildung nicht so nahe gewesen wäre. Trotzdem, ich maße mir nicht an, die Entscheidungen meines Meisters infrage zu stellen.«
Angesichts Jayans Unterwürfigkeit runzelte Karvelan abermals die Stirn.
»Ach ja? Was ist mit dieser Gruppe, der er sich angeschlossen hat? Diesem ›Freundeskreis‹? Findest du nicht, dass das ein unkluger Schritt war? Es riecht nach Rebellion.«
Jayan sah seinen Vater überrascht an, dann wurde ihm klar, dass er ihn anstarrte, und er wandte den Blick ab.
»Du wusstest nicht, dass ich es weiß, nicht wahr?« In Karvelans Stimme schwang Befriedigung mit.
»Oh, die Gruppe ist kein Geheimbund.«
»Was ist sie dann?«
»Dass irgendjemand... der Gedanke kommen könnte...« Jayan brach ab und schüttelte den Kopf. Es war niemals klug, etwas so auszudrücken, dass sein Vater es als Kritik auffassen konnte. »Rebellion ist ein starker Ausdruck. Ich versichere Euch, die Gruppe erfreut sich der Ermutigung und Unterstützung des Königs. Oder... wollt Ihr eine Rebellion gegen jemand anderen andeuten?«
Ein mürrischer Ausdruck war in den Blick seines Vaters getreten - ein Ausdruck, den Jayan nur allzu gut kannte. Karvelan trug ihn, wann immer er Grund hatte, Abneigung gegen seinen jüngsten Sohn zu empfinden.
»Rebellion gegen die Stadt ist Rebellion gegen den König«,
knurrte er. Für einen kurzen Moment irrte sein Blick von seinem Sohn ab. »Ich wünsche nicht, dass du dich mit diesem Freundeskreis einlässt«, sagte er. »Eine Verbindung mit diesen Leuten könnte ein schlechtes Licht auf deine Familie werfen.«
Jayan öffnete den Mund zu einem Protest, zügelte sich jedoch. Es hatte keinen Sinn, seinem Vater zu versichern, dass es dem Freundeskreis nur um die Verteidigung des Landes ging. Des ganzen Landes. Dass er nicht guten Gewissens etwas dagegen haben konnte, sein Heimatland zu verteidigen. Aber es hatte keinen Sinn, mit seinem Vater zu streiten.
Also seufzte er. »Bis ich ein höherer Magier bin, muss ich Lord Dakon gehorchen. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher