Magier des dunklen Pfades 1 - Die Suche (German Edition)
den Eingang ab und verabschiedeten sich.
Auf dem Weg zurück spürte Gerom die Kälte lediglich als schwaches Nagen, ganz anders als sonst, wenn man in einer Durlum-Nacht ins Freie trat. Zu viele Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Alle drehten sich um Lorgyn.
„Bist du wirklich ein Zauberer?“, brummte er in den Schal.
Eine plötzliche Windbö blies Schnee von einem Dach, der einen Augenblick flatterte wie eine abstehende Fahne, ehe er sich nach unten senkte. Ein paar Kristalle schmolzen auf Geroms Stirn. War diese Enthüllung eine glückliche Fügung – oder würde es Verderben bringen? Vielleicht nicht nur für ihn, sondern auch Laris?
Plötzlich fröstelte Gerom. Nicht der Kälte wegen, sondern weil er sich an Lorgyns Augen erinnerte, wie sie ihn das erste Mal gemustert hatten.
Wir müssen auf der Hut sein. Wer einen Kralik zur Strecke bringt, muss sich vor Menschen nicht fürchten.
Es wird so ablaufen wie immer, dachte Gerom, nun etwas ruhiger, ganz heimlich, ganz still, ohne Schreie und Aufruhr.
Der „Kralik“, der sich jedes Jahr an Reikjol ein Opfer holte, würde auch dieses Mal wieder zuschlagen.
Und zwar unbemerkt.
Trotzdem keimten Zweifel auf, Zweifel an seinem Handeln und dem der anderen Eingeweihten. Aber er hatte es seinem Vater versprochen, hatte es auf seine Ahnen schwören müssen. Es war das Letzte gewesen, an das sein Vater gedachte hatte, bevor er die Augen schloss, und somit das Wichtigste. Diesen Schwur, den jeder Orfolei seiner Ahnenreihe gab, konnte er, durfte er nicht brechen.
Durch den Hintereingang betrat er die Perle, hörte beim Öffnen der Tür die gewohnten Laute eines gut gefüllten Schankraums. Über den Lärm hörte er Laris´ Stimme, wie sie Grinn zurief, mehr Bier zu bringen.
Einen Moment hielt er inne, bevor er die Kellertreppe betrat. Jeder Orfolei musste seinen Nachkommen diesen Schwur abringen, egal was es kostete.
Sein Herz schwer, stieg er die Stufen in den Keller hinab, um im Kälteraum Platz für den Kralik-Kadaver zu schaffen.
Bis jetzt hatte er Laris nichts von dem alten Schwur erzählt. Eines Tages würde er es tun müssen. Er fürchtete sich vor diesem Augenblick, und ein kleiner Teil von ihm wünschte sich, sie wäre niemals von ihrem Studium aus Vaskalan zurückgekehrt.
Was hatte ich deswegen schon Streitereien mit Toste!
Gerom schüttelte den Kopf und öffnete die Tür zum Kälteraum, in dem leicht verderbliche Lebensmittel lagerten. Weißer Reif überzog die Stützbalken an der Decke, die Wände und Truhen und Beutel. Schnell räumte er eine Stelle in der Ecke frei und breitete eine Decke für den Kralik aus.
Nachdem er die Tür wieder verschlossen hatte, blieb er stehen. Nur ganz schwach hörte er die Stimmen von oben, die wie ein Geisterchor die Treppe hinabwehten.
Seine Schritte die Stufen hinauf kamen ihm schwerfällig vor, Schritte eines alten Mannes, dem das Leben fast alle Kraft genommen hatte. Da der Kälteraum in der zweiten Kellerebene lag, befand er sich nun direkt unter dem Boden der Taverne. In den Räumen dieses mit Holzstreben überwölbten Ganges waren jene Utensilien verstaut, die für ein erfolgreiches Wirtshaus unabdingbar waren: Bierfässer, Weinkrüge, Gewürze, die Bänke und Tische für den Garten, Ersatzteller- und bestecke, gut abgehangenes Pökelfleisch, gereifter Käse sowie die beiden Tafeln und drei Stühle, die seit Durias Wutanfall auf den Tischler warteten. Ferner bewahrte er in einigen Truhen getrocknete Blumengirlanden, Laternen, Kerzen und viele andere Dinge auf, mit denen er bei Festlichkeiten den Schankraum schmückte.
Er erreichte das Ende des Ganges und schloss eine Tür auf, hinter der nur Fundsachen, alte Kleidung und Jutesäcke auf ihn warteten, Gerümpel einfach, das sich über die Jahre angesammelt hatte. Grundsätzlich müsste man hier mal ordentlich auslichten – aber dann würde der Raum seine Funktion nicht mehr erfüllen.
Es roch muffig, staubig, einfach unangenehm, was jeden, der den Raum betrat, nicht gerade zum Verweilen einlud. Gerom räusperte sich, aber der Druck in seiner Kehle blieb, während er sich an Truhen und Holzkisten vorbeizwängte. Seine Hände schwitzten, und er zog die Handschuhe aus. Dann, langsam, holte er sein Halsband hervor, an dem ein Medaillon hing, das ein kleines, filigranes Bild seiner Frau enthielt. Seitlich, verborgen im Rahmen, befand sich eine winzige Metallnase, die er mit dem Fingernagel drückte: Auf unsichtbaren Scharnieren klappte das Bild zur Seite
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