Magier des dunklen Pfades 1 - Die Suche (German Edition)
verteidigt sein Revier, und er sucht Nahrung, ganz nach der Weisung, nach der Iros ihn geschaffen hat. Man könnte also sagen, dass der Angriff auf den Kralik ein Angriff auf Iros selbst ist, ein böses Omen, das darauf hindeutet, dass Iros´ Widersacher stärker werden! Jemand tötet eines von Iros´ mächtigsten Geschöpfen – und gibt sich nicht zu erkennen! Sonderbar, oder nicht?“
Zum ersten Mal zog Lorgyn den Hut vor dem Priester, oder besser gesagt vor der Rhetorikausbildung, die er offensichtlich durchlaufen hatte. Durch seine sonderbare Herangehensweise stellte sich jeder die Frage, auf was Genthate hinauswollte – und hing somit gebannt an seinen Lippen.
Genthate entglitt ein Nicken, als wäre er mit sich zufrieden, als wolle er sagen: Sehr schön, genau da wollte ich euch haben!
„Mit den Widersachern“, hob jemand an, „meint ihr damit den Alten Bund?“
„In der Tat!“ Genthate nickte grimmig. „Seine Anhänger streben danach, Dargolash zu befreien, das große Übel, das für Tod, Leid und Vernichtung steht. Es darf nicht entfesselt werden, sonst sind wir alle verloren!“
Ein Mann stand auf, die Mütze vor den Bauch haltend. „Wenn es aber jener Kralik war, der jedes Mal an Reikjol zuschlägt?“
„Dann“, schnaufte Genthate, „habe ich mich getäuscht. Und ich werde froh darüber sein, denn dann muss niemand mehr sterben.“
Er legte eine bedeutungsschwangere Pause ein, damit seine Worte sackten. Plötzlich schnellte er die Arme in die Höhe. „Daran jedoch glaube ich nicht! Denn dieser eine Kralik, der an Reikjol tötet, der ist anders! Er tötet im Gewand von Iros´ Kraft. Und er wird es wieder tun. Er ist kein normaler Kralik, sondern einer, der beseelt ist von unheiliger Kraft und Raffinesse. Jedes Mal lockt er jemanden an Reikjol in die Wälder, um ihn zu töten. Dieser Kralik lässt sich nicht fangen. Er fängt selbst, und er bestimmt Ort und Zeitpunkt. Ich sage, die Gefahr ist keineswegs gebannt. Er handelt nach dem dunklen Willen des Alten Bundes!“
Erschrockenes Getuschel brandete auf. Genthate knallte die Hand auf den Deckel des Predigerbuches, ein Donnerschlag, der alle anderen Laute niederbügelte.
Die Finger des Mannes, der immer noch stand, knautschten seine Mütze zusammen. „Ihr sagt also, es gibt Anhänger des Alten Bundes in Wintertal?“
Nun wuchs das Stimmenmeer wieder an. Als Gegenmaßnahme schrie Genthate die Aufwiegler mit seiner nächsten Frage nieder. „Hat sich niemand gefragt, warum immer an Reikjol ein Wintertaler sterben muss? Vergesst nicht, Reikjol, der Tag des Frühlingsanfangs ist der Tag unseres Gottes – aber er ist auch der Tag des Alten Bundes!“
Das Getuschel verstummte.
„Denkt ihr wirklich, das ist reiner Zufall?“ Genthate, sein Gesicht vor lauter Stimmgewalt ganz rot, schüttelte energisch den Kopf. „Wenn, dann seid ihr kurzsichtige Narren! Hat noch niemand je einen Gedanken darauf verschwendet? Wir wissen“, er sprach nun leiser, beinahe verschwörerisch, „dass es Menschen gibt, die … nach alten Dingen suchen. Menschen, die nur zu gerne die Schrecken der Vergangenheit wieder heraufbeschwören.“ Er fletschte die Zähne, was bei ihm wohl als Lächeln durchgehen konnte. „Ihr wisst, dass vor einiger Zeit … jemand hier war. Dieser Jemand hat unangenehme Fragen gestellt, und obwohl wir ihm unmissverständlich bedeutet haben, er solle damit aufhören, hat er sich nicht darum geschert. Am Ende hat Iros diesen armen Narren erlöst, ihn aus seiner Verblendung befreit, indem er ihn zu sich holte. Aber es gibt noch andere. Viele andere … überall im ganzen Reich.“
Lorgyn rutschte auf der Bank herum, die ihm mit einem Schlag äußerst hart und ungemütlich vorkam.
„In jedem Winkel hängt dieser üble Hauch, bringt bösartige Geschwüre zum Vorschein, die man so schnell ausbrennen muss, dass sie niemals zu einer Bedrohung werden könnten!“ Er zog weiter vom Leder und verdammte den Alten Bund und seine verbliebenen Anhänger.
Lorgyn hörte nicht mehr hin.
Er sah nur noch die beiden lichterloh brennenden Scheiterhaufen vor seinem geistigen Auge.
Seine Eltern – Anhänger des Alten Bundes, gefasst während eines ihrer schauerlichen Rituale. Der Mann mit dem Dolch in der Brust war einer ihrer besten Freunde gewesen, das Neugeborene, das in jenem Moment auf die Welt gekommen war, er selbst – Lorgyn de Daskula.
Für einen Lidschlag verspürte er einen leichten Schwindel. Verärgert presste er die Lippen zusammen: Er
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