Magier des dunklen Pfades 2 - Der Alte Bund (German Edition)
werde höchstens in irgendeiner Zahl auftauchen, die verkündet, wie viele Paktierer des Alten Bundes man dieses Jahr gerichtet habe. Er ballte die Fäuste. Kurz sann er darüber nach, einen neuerlichen Fluchtversuch zu wagen. Schnell verwarf er den Gedanken. Zwecklos.
»Bürger Gruvaks«, rief Genthate getragen, »verehrte Pilger, die ihr eine beschwerliche Reise auf euch genommen habt, um an diesem wunderbaren Tage den Beginn der Reikjol-Feierlichkeiten mitzuerleben – ich, Genthate, der Hohepriester Wintertals und in meiner Funktion als Iros’ Gesandter, grüße euch aufs Wärmste!«
Jubel brach aus.
Arlo schüttelte den Kopf: Noch schwulstiger und manierierter ging es ja wohl kaum. Die Menschen jedoch schien das nicht zu kümmern.
»Iros heißt euch willkommen in dieser altehrwürdigen Stadt!«
Wieder Jubelrufe.
»Mir, Genthate, der ich jüngst zum Hohepriester gewählt wurde, ist es eine große Ehre, gleich in den ersten Wochen meiner Regentsch… ähm … Amtszeit die Feierlichkeiten zu eröffnen!«
Ein paar Leute stolperten offenbar über den Ausrutscher, und so fiel der Beifall diesmal verhaltener aus.
Trotz seiner Situation lachte Arlo leise. Dieser Versprecher verriet, wie dieser Selbstschmeichler sich sah und definierte: nicht nur als Priester, sondern als Herrscher, der über seine Untertanen gebieten durfte, wie er wollte.
Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht , kam Arlo ein altes Sprichwort in den Sinn. Es gab wohl kaum eine Sentenz, die mehr Wahrheit enthielt als diese.
»Um die Festlichkeiten in gebührender Weise zu eröffnen, werdet ihr Zeuge sein, wie ein …«
Abrupt verstummte Genthate und warf einen bösen Blick nach unten auf seine Träger.
» … wie ein«, begann er wieder.
Plötzlich kippte die Sänfte nach rechts, als wären die Träger auf dieser Seite ohnmächtig geworden.
Genthates Augen weiteten sich. Mit einem erstickten Aufschrei stürzte er herunter.
Wie unrühmlich! , jauchzte Arlo innerlich, und er spürte, wie er loslachen wollte, hielt sich jedoch unter äußerster Mühe zurück.
Aber warum eigentlich?
Eine unsichtbare Wolke aus Stille, Verwirrung und Erstaunen hing über dem Platz – bis Arlos Lachen sie vertrieb.
Oh, wie gern würde er die Ketten um seine Hände sprengen, um sich den Bauch zu halten! Einfach zu köstlich!
Danke, liebes Schicksal, für dieses Henkersmahl der anderen Art!
»Halt deine Fresse, Bastard!«
Ein Stock klatschte auf seinen Rücken.
Er hatte damit gerechnet und lachte weiter.
Der Tritt in seine Seite schaffte es dann doch, ihn zum Schweigen zu bringen. Nach Luft röchelnd fiel er zu Boden.
Plötzlich jedoch ertönten auch einige Lacher aus der Menschenmenge, und der Funke sprang rasch über, bis ein vielkehliges Zeugnis der Schadenfreude den Platz in raues Gelächter hüllte.
Welch ein Triumph!
Arlo hörte Genthate leise fluchen und schimpfen, dass die Träger für die nächsten Monate ihren Sold vergessen könnten. Sein Kopf rot wie ein frisch versohlter Hintern, sein Gang schwerfällig durch die Last seines Gewandes, watschelte er nun zum Altar, gefolgt von seinen betreten dreinblickenden Leibgardisten.
Schwer atmend stützte er sich auf der Marmorplatte ab und ließ den Blick über die Menge schweifen wie eine Feuerpeitsche. Wie er dastand, mit diesem Blick, wirkte er wie ein Fleisch gewordener Dämon – oder einfach ein Wahnsinniger.
Langsam ebbte das Gelächter ab.
»Manch einer von euch mag sich fragen, warum ich gedenke, das Fest des Lebens ausgerechnet mit einer Hinrichtung zu eröffnen. Nun, für mich – und ich bin sicher, auch für unseren Gott Iros! – ist dies der richtige Schritt. Vorbei ist die Zeit der Dunkelheit Durlums, die Zeit der Kälte und Angst und Ungewissheit. Der Frühling steht an, das Sinnbild für Erneuerung und Licht, das über die Finsternis siegt. Deswegen sage ich: Das Dunkle muss besiegt werden, damit Iros’ Kraft erstrahlt! Und dunkel ist die Seele desjenigen, der heute seiner nur allzu gerechten Strafe zugeführt wird!« Genthates Zeigefinger schnellte in Arlos Richtung. Seine Bewacher wichen zurück, sodass die Massen ihn sahen.
Arlo spürte den Druck dieser Blicke.
Beinahe setzte er einen Schritt zurück, aber dieser Schritt wäre ein Verrat an sich selbst.
Das werde ich Genthate und auch niemandem sonst gönnen!
Trotzig reckte er das Kinn vor, und auch als abermals faules Obst auf ihn einprasselte, bewahrte er Haltung. Stolz durchflutete ihn.
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