Magier des dunklen Pfades 2 - Der Alte Bund (German Edition)
Treppe hinab.
***
Ein Tag, welcher der Hinrichtung eines Königs würdig ist, nicht eines einfachen Schreibers , dachte Arlo, als man ihn durch das Haupttor des Tempels ins Freie schaffte. Ein Anhauch von Glut leuchtete im Himmel und an den Unterseiten der Wolkenbänke, die wie festgebacken in der Luft hingen, als wollten sie trotz des leichten Windes nicht weichen, um einen unverstellten Blick auf das Spektakel zu haben, das sich in Kürze auf dem zum Bersten mit Menschen gefüllten Platz abspielen würde. Auf jeder Stufe der breiten Treppe, die in den vor Menschen brodelnden Talkessel führte, stand ein Soldat. Sie bildeten ein stummes Spalier aus polierten Helmen und im Abendlicht funkelnden Speerspitzen.
Das Gemurmel und Tosen der vielen Stimmen hob an, als Arlos Bewacher an der Kette zog, die mit dem Eisenring um seinen Hals verbunden war.
Er stolperte nach vorne.
Hocherhobenen Hauptes werde ich meinem Schicksal entgegenblicken.
Das hatte er sich zur letzten Aufgabe gemacht. Und doch, vorangerissen durch den harten Ruck, stürzte er und prallte mit den Knien auf die Kante der Stufe. Er unterdrückte einen schmerzerfüllten Aufschrei. Sofort zerrten ihn grobe Hände in die Höhe und bugsierten ihn die Treppe hinab. Arlo spürte Hunderte Blicke wie Feuermale auf seinem Körper. Schmährufe wurden laut, aber sie gingen im wogenden, zornigen Menschenmeer auf, das in Erwartung des Blutopfers aufbrandete. Sein Körper prickelte, als hätte man ihm Säure auf die Haut gespritzt, und sein Hals war so eng, dass nicht mal mehr eine Nadel hindurchpasste.
»Schneller!«, zischte die Wache hinter ihm.
Ein hartes Klatschen auf seinem geschundenen Rücken, dann entflammte ein grauenerregender Schmerz, als die verschorften Wunden wieder aufplatzten. Jetzt brüllte er doch.
Das Publikum brüllte noch lauter vor Begeisterung.
Anscheinend angestachelt, hieb Arlos Peiniger erneut zu.
Schreiend ging er zu Boden. Der Schmerz saugte ihm den letzten Tropfen Kraft aus dem Körper. Mit schlenkernden Armen rollte er ein paar Stufen hinab, ehe der Mann an der Kette riss.
Arlos Nacken verbog sich, als sein ganzes Körpergewicht daran hing. Fast wünschte er sich, sein Genick würde brechen, doch schon stand er wieder, gestützt und aufrecht gehalten von seinen Bewachern. Stöhnend hob er den Kopf.
Dort! Die Stätte seines baldigen Todes.
Ein Galgen.
Immerhin werde ich nicht bei lebendigem Leib verbrennen.
Sein Blick hing an dem Gerüst. Es war eine regelrechte Bühne, die man auf dem Platz errichtet hatte. Mehrere Treppen führten hinauf. Vom Galgen wies ein kleiner Steg zu einem großen Podest mit Rednerpult. Nein, kein Pult, sondern ein Altar, größtenteils aus Holz, nur die Platte war aus Marmor. Dort würde Genthate stehen und ihm beim Sterben zusehen.
Als Arlo jedoch den Schemel sah, der unter dem Galgen stand, revidierte er seine Einschätzung von vorher. Verbrennen war sicher das Schlimmste; als viel besser stufte er langsames Ersticken allerdings auch nicht ein. Nicht durch einen harten Ruck mit dem daraus resultierenden Genickbruch würde ihn der Tod ereilen, sondern durch qualvolle Strangulation.
Der Henker würde den Hocker wegstoßen, und Arlo würde hin und her baumeln, blau anlaufen, die Augen würden aus den Höhlen quellen, er würde röcheln und zappeln und zucken …
Aus einem Impuls heraus wirbelte er herum, so heftig und schnell, dass seinem Bewacher die Kette aus den Händen gerissen wurde. Mit seinem Satz war er bei dem verdutzten Mann und trat ihm mit dem rechten Fuß gegen die Brust. Es schleuderte ihn die Treppe hinab.
Arlo wollte losrennen.
Ein schmetternder Hieb erwischte ihn in der linken Kniekehle. Er knickte ein und stürzte. Die Zuschauer johlten auf.
Sein Bein war taub, und als ihn ein weiterer Schlag am Rücken traf, war er gelähmt vom Schmerz und kauerte auf der Stufe, bis man ihn erneut hochhievte und weiterzerrte.
Er kam an dem Mann vorbei, dem er den Tritt verpasst hatte. Dass der Kerl benommen dalag, ein Muster strichdünner Blutfäden aus einer Platzwunde sein Gesicht überzog und er die Hilfe zweier Wachen benötigte, um überhaupt wieder auf die Beine zu kommen, gab Arlo leider nicht die ersehnte Genugtuung. Gnadenlos und brutal schleifte man ihn entlang des durch Soldaten abgeriegelten Korridors an den Zuschauern vorbei zum Galgen. Er sah die Gesichter der Menschen, hörte das Tosen und Brausen ihrer Stimmen; sich öffnende und schließende Münder, geschüttelte Fäuste,
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