Magier von Moskau
schrieb weiter.
»Ich habe behauptet, daß ich auf Iphigenie und Gorgo kein bißchen eifersüchtig bin. Aber ich spüre die Eifersucht des Dogen! Ja, ich weiß es genau. Frauen können sich in solchen Dingen nicht irren. Er ärgert sich, daß ich ihn nicht mehr mit wehmütigen Schafsaugen ansehe wie früher. Heute abend hat er Iphigenie und Gorgo überhaupt nicht beachtet, sondern nur mich angeguckt. Die beiden Dummchen waren schrecklich wütend, und das hat mir, ich gebe es zu, gutgetan, aber mein Herz hat nicht schneller geklopft. Mein neues Gedicht hat er in den Himmel gehoben. Oh, mit welcher Seligkeit hätte dieses Lob mich noch vor kurzem erfüllt! Jetzt freut es mich überhaupt nicht, denn ich weiß sehr wohl, das Gedicht ist mittelmäßig.
Das Roulettespiel wird mir allmählich über. Es sind zu viele Interessenten da. Heute trauten sich außer dem allgegenwärtigen Caliban, dessen enttäuschtes Geheul einfach komisch ist, sogar Petja und Kriton, das Rad zu drehen (der erstere lief rot an, der letztere wurde totenblaß; interessantes psychologisches Detail: Nach dem glücklichen Ausgang wurde Petja weiß wie ein Laken und Kriton rot). Leichenfreund Horatio unterdrückte, als er die Kugel warf, ein Gähnen – ich sah es deutlich. Cyrano erlaubte sich sogar einen Jux: Während das Roulette sich drehte, trällerte er ›Dreh |200| dich nur im Tanz, mein Liebchen‹. Der Doge beobachtete dieses Bravourstück mit gerunzelter Stirn. Er muß doch einsehen, daß die Idee mit dem Glücksrad gescheitert ist. Der TOD zeigt ganz deutlich, daß er solche Spielereien unwürdig und erniedrigend findet.
Nur die deutschen Brüder sind nach wie vor mit Ernst und Eifer bei der Sache. Wenn Rosenkranz das Rad dreht, wirft er jedesmal einen ausdrucksvollen Blick zu mir herüber. Weiter gehen seine Annäherungsversuche nicht. Mir fällt auf, daß er und Güldenstern häufig Blicke wechseln, als unterhielten sie sich mit den Augen. Ich glaube, sie verstehen sich auch ohne Worte. Irgendwo habe ich gelesen, daß dies bei Zwillingen häufig vorkommt. Der eine wirft einen Blick, und schon reicht ihm der andere die Zigarrentasche. Und: wenn einer von ihnen die Kugel über die Fächer hüpfen läßt, schaut er nicht auf das Rad, sondern auf den anderen – er errät das Resultat an dessen Gesichtsausdruck, der dem eigenen so ähnelt.
Gdlewski beobachtet unser Roulettespiel ironisch. Er wartet auf den großen Tag – den morgigen Freitag. Wir alle hänseln ihn, doch er schweigt hochmütig und lächelt nur überlegen. Es ist ihm anzusehen, daß er alle anderen Anwärter für Nullen hält und nur sich selbst für würdig erachtet, sich mit dem TOD zu vermählen. Caliban, der über seinen letzten Mißerfolg mit dem Roulette in Wut geriet, hat den Gymnasiasten einen ›frechen Hund‹ genannt. Fast wäre es zum Duell gekommen.
Am Ende des heutigen Abends erlaubte sich Colombina ein Ding, über das sie selbst staunte. Als die ›Liebhaber‹ auseinandergingen, trat der Doge zu ihr, der blonden Bacchantin, und faßte sie mit zwei Fingern am Kinn.
›Bleib‹, gebot er.
|201| Sie antwortete mit einem langen aufreizenden Blick. Dann berührte sie seine Hände flüchtig mit ihren Rosenlippen und raunte: ›Nicht heute. Ich gehe und löse mich in der Nacht auf.‹
Sie drehte sich kokett um und ging. Er blieb verwirrt stehen und folgte der schlanken Figur der unberechenbaren und launenhaften Zauberin mit flehendem Blick.
Er hat es verdient.«
Freitag – ein besonderer Tag
An diesem Freitag brach Colombina früher als sonst zur Zusammenkunft des Klubs auf – der Abend war danach: Schmeichelnd und beklemmend, verhieß er nichts Gutes und auch nichts Schreckliches, vielleicht beides gleichzeitig, etwas sehr Gutes und sehr Schreckliches.
Sie hatte einen erregenden Beigeschmack von Tragik schon am Morgen wahrgenommen, als sie den trügerisch klaren Septemberhimmel sah, der die Stadt wie eine halb durchsichtige Porzellanschale bedeckte.
Vor dem Frühstück machte sie ihre übliche Gymnastik – sie trainierte die Seele, den Tod nicht zu fürchten. Dazu trat sie auf den Balkon, öffnete die eiserne Pforte, die ins Leere führte, stellte sich an die äußerste Kante und horchte auf das rasche Pochen ihres Herzens. Die Geräusche von unten, von der Straße her, hallten vielsagend und dumpf, auf den Scheiben blinkten nervöse Lichter, und drunten spreizte der von Möbius und Söhnen gefangene Engel die Flügel.
Es folgte ein Tag,
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