Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
dem Lärm zu Hause zu entkommen und vielleicht am Abend ganz ohne schlechtes Gewissen ein paar Ale in einem Pub fern der Argusaugen seiner Angetrauten zu heben.
Über diesen kurzen Einblick in sein Leben hinaus schien Middleton nicht an einem Gespräch interessiert zu sein, sondern sich vor allem ein bisschen Ruhe zu wünschen, ein Wunsch, den Kendra und ihr Großvater ihm nicht verdenken konnten. Und so hatten sie die letzten zwei Stunden in einträchtigem Schweigen verbracht. Der Bauer hatte zusammengesunken auf seinem Kutschbock gehockt, Giles hatte sein Buch hervorgeholt und gelesen, und Kendra war dazu übergegangen, ihre Übungen fortzusetzen, den Wechsel in die Wahrsicht und das Manipulieren von Fäden zu meistern.
Dabei hatte sie freudig erregt festgestellt, dass es ihr immer leichter fiel, die Sphäre der Magie vor ihren Augen heraufzubeschwören. Sie konnte es sich nicht anders erklären, als dass das Bad im Waldsee, die Berührung der in dessen Tiefe sprudelnden Magiequelle, eine Verstärkung ihrer angeborenen Gaben zur Folge gehabt hatte, die nun mehr und mehr zutage trat. Großvater hat ja auch schon bemerkt, dass ich ungewöhnliche Fähigkeiten entwickle , dachte sie. Bereits früher hätte Kendra eher neugierig als ängstlich auf diese Veränderungen in ihrem Körper reagiert. Jetzt hingegen, da ihr Großvater bei ihr war und sie in die Geheimnisse der Magie einzuweihen gedachte, war sie geradezu euphorisch, und sie brannte darauf, all ihre möglicherweise noch verborgenen Talente zu entdecken und zu erforschen.
»Wir nähern uns jetzt Lockerbie«, meldete sich Middleton zu Wort. »Wenn wir den Hügelkamm erreicht haben, müsste man das Dorf eigentlich zur Linken sehen können.« Eine leichte Unruhe schwang in seinen Worten mit. Auch der Bauer hatte mitbekommen, dass der Expresszug deshalb in Beattock angehalten worden war, weil irgendetwas um Lockerbie herum nicht mit rechten Dingen zuging.
Kendra erhob sich ein Stück von ihrem Sitzplatz und reckte den Hals, um besser sehen zu können. Ihr Großvater legte sein Buch zur Seite.
Gemächlich ratterte die Kutsche den Feldweg entlang. Sie hatten sich dagegen entschieden, die besser ausgebaute Kutschenstraße direkt neben den Gleisen zu nehmen, denn was immer die beiden Züge hatte verschwinden lassen, befand sich zweifellos in unmittelbarer Nähe der Bahnlinie. Stattdessen hatte Middleton einen mehrere Meilen weiten Bogen in westlicher Richtung geschlagen. Dadurch würden sie zwar eine Stunde später in Carlisle ankommen. »Aber besser spät als nie«, hatte der Bauer treffend angemerkt.
Mit einem letzten Zügelschlag trieb Middleton sein Pferd an, damit es die Kutsche über die Hügelkuppe zog. Oben angekommen, ließ er ihr Gefährt anhalten. »Heilige Mutter Gottes!«, murmelte er und bekreuzigte sich.
Auch Kendra spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, und ihr Großvater fluchte leise in seinen dichten Bart hinein.
Tatsächlich war in ungefähr vier Meilen Entfernung zu ihrer Linken etwas in Sicht gekommen. Doch es war nicht der Ort Lockerbie, den der Bauer ihnen als kleine Gemeinde von vielleicht tausend Seelen beschrieben hatte. Dort, wo normalerweise eine Kirche mit einem spitzen Turm und einige Straßenzüge kleiner Häuser entlang der Kutschstraße und der Bahntrasse zu finden waren, hing nun ein etwa zwei oder drei Meilen durchmessendes und bis zu den tief hängenden Wolken reichendes Feld aus dichtem Nebel. Solch ein eng umgrenztes Wetterphänomen mochte für sich genommen schon ungewöhnlich genug sein. Geradezu erschreckend wurde es jedoch dadurch, dass der Dunst von einer Schwärze war, die kein brennendes Haus und kein Fabrikschlot hätten hervorbringen können. Träge Nebelarme wuchsen aus der Mitte hervor und zogen sich noch einige Hundert Schritt weit über die abendlichen Felder.
Im Inneren der Dunkelheit herrschte vollkommene Stille, und das war beinahe noch unheimlicher, als wenn leise Schreie und Sturm läutende Kirchenglocken zu ihnen herübergeweht wären. Nichts schien in Lockerbie mehr zu leben … vielleicht war sogar der Ort selbst von der Landkarte verschwunden.
»Was ist das?«, platzte es nach einigen Momenten des fassungslosen Schweigens schließlich aus Middleton heraus. Das Gesicht des Bauern war aschfahl. Auf einmal schien er zu bereuen, dass er den heimischen Herd verlassen hatte. Jede lärmende Familienschar war hundertmal erträglicher als diese grässliche Stille.
»Nichts, gegen das Sie oder wir in diesem
Weitere Kostenlose Bücher