Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
eins mitgebracht. Dachte, das würde Ihnen vielleicht gefallen.« Er kramte in seiner Jackentasche und holte einen Kiesel von der Größe einer Männerfaust hervor. »Ist das ein Ei?«, fragte er neugierig, als er Jonathan das Fundstück hinhielt.
Dieser nahm es entgegen und musterte es von allen Seiten. Dann zuckte er mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht, Oliver. Es könnte sein. Wie dem auch sei … Das hast du gut gemacht, mein Junge.« Er klopfte ihm auf die Schulter und wollte ihm das Ei reichen, doch dieser wehrte ab.
»Oh, danke, Sir. Behalten Sie das Ding ruhig. Ich würde mir lieber was anderes in die Tasche stecken …« Mit bedeutungsvollem Blick rieb er Daumen und Zeigefinger gegeneinander.
Jonathan grinste. »Ich habe schon verstanden.« Er ließ den Stein in seine Manteltasche fallen und zog einen Schilling hervor. »Hier. Den hast du dir redlich verdient.«
»Danke, Sir«, rief der Junge. Er steckte das Geld ein und wollte schon wieder loslaufen, aber da fiel Jonathans Blick auf die Fassade des gegenüberliegenden Redaktionsgebäudes, und er hielt ihn zurück.
»Warte mal, Oliver. Magst du dir noch einen Schilling verdienen?«
»Auf jeden Fall, Sir«, sagte der Junge unter heftigem Nicken.
Jonathan deutete auf das Haus. »Dann lauf rasch hinüber in das Gebäude dort und sag dem Herrn am Empfang, du müsstest dringend Mister Pennington vom Strand Magazine sprechen. Und dem sagst du anschließend, dass hier draußen ein alter Freund auf ihn wartet. Verrate niemandem dort drinnen meinen Namen und gib auch an keinen außer Mister Pennington meine Botschaft weiter. Hast du das verstanden?«
»Klar! Wird sofort erledigt. Sie werden sehen.«
»Gut, ich warte hier«, sagte Jonathan.
Zufrieden beobachtete er, wie Oliver über die Straße flitzte und im Redaktionsgebäude verschwand. Etwa fünf Minuten verstrichen, bevor er wieder auftauchte. Zu Jonathans Enttäuschung war er allein. »Der Mann am Empfang hat mich nach oben geschickt, und dort hat mir eine Miss Newman gesagt, dass Mister Pennington nicht da ist«, berichtete er leicht außer Atem.
Verwirrt hob Jonathan die Augenbrauen. »Hat sie dir auch verraten, weshalb?«
»Er ist krank und kommt morgen wieder«, antwortete der Junge.
»Hm …« Jonathan rieb sich über das Kinn. »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
»Sie hat sich gewundert, dass heute so viele Leute zu Mister Pennington wollen. Wer denn noch, habe ich gefragt und ein bisschen herumgebohrt. Ich dachte mir, es könnte wichtig sein. Und sie sagte, ein Bediensteter von einem Mister Simms sei heute Morgen da gewesen …« Jonathan war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, dass es sich dabei um den Besitzer des Panhard-Levassor handelte. »… und vor einer halben Stunde ein Mann namens Crandon.«
Unvermittelt spürte Jonathan, wie sich sein Magen verkrampfte. Ein Mann namens Crandon … Hieß nicht einer von Wellingtons Jüngern so? , fragte Jonathan sich. Ihm schwante Schlimmes.
Auf einmal hatte er es sehr eilig. »Danke, mein Junge, du warst mir eine große Hilfe. Hier, dein Lohn.« Er gab Oliver einen weiteren Schilling. »Und nun muss ich los. Mach weiter so! Ich werde jetzt ein paar Tage unterwegs sein, aber halte ruhig Augen und Ohren offen. Nach meiner Rückkehr bin ich gespannt auf deine Geschichten.«
»Geht klar, Sir. Vielen Dank und bis bald.« Der Junge winkte zum Abschied, sprang die Stufen zur Straße hinunter und rannte in Richtung Covent Garden davon.
Jonathan nahm die andere Richtung zum Strand hinab. Er brauchte sofort eine Kutsche. Seine Lage hatte sich gerade auf unangenehme Weise verschärft. Allem Anschein nach hatte Kendra mit ihrer Einschätzung falschgelegen: Aus Gründen, über die er lieber nicht zu genau nachdenken wollte, wussten Wellingtons Schergen sehr wohl, dass Jonathan Dunholms Ring trug. Und offenkundig versuchten sie, über seinen besten Freund an ihn heranzukommen. Ich muss Robert warnen. Er darf ihnen nicht in die Hände fallen …
23. April 1897, 15:35 Uhr GMT
England, London, Calthorpe Street (unweit des Postdepots)
Im Eiltempo ließ sich Jonathan durch London bringen, bis zur Calthorpe Street, wo das Mietshaus lag, in dem sein Freund wohnte. Er warf dem Kutscher das Fahrgeld zu und stürzte durch die Eingangstür ins Treppenhaus. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, hetzte er bis ins Dachgeschoss, in dem Robert seine kleine Bleibe hatte.
Als er den letzten Absatz erreichte, wurde vor ihm unvermittelt die
Weitere Kostenlose Bücher