Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
mochte auf dem Empfang ihm gegenüber Gewogenheit zum Ausdruck gebracht haben – wohlgemerkt, bevor er sich vor der versammelten Gesellschaft in eine Prügelei hatte verwickeln lassen, über die tags darauf sogar im Daily Telegraph berichtet worden war. Doch selbst wenn das nicht geschehen wäre, so wurde ihm klar, mochten seine Bemühungen um ihre Hand ein ferner, unerfüllbarer Traum sein.
Er erinnerte sich an das Gespräch, das er mit seinem Chefredakteur Norman Greenhough über die Romanze zwischen Robert und Sarah geführt hatte. Greenhough hatte Jonathans Freund mit seinem forschen, mitunter impertinenten Auftreten als ungünstigen Einfluss auf die junge Sarah bezeichnet und Jonathan regelrecht bedrängt, Robert alle romantischen Absichten auszureden. So wurde in gehobenen Kreisen hinter dem Rücken anderer das Urteil über sie gesprochen, und es war durchaus wahrscheinlich, dass auch Jonathan mittlerweile dieses Urteil getroffen hatte. Denn Greenhough hatte Jonathan zwar noch als einen würdigen Mann an Sarahs – oder eben Elisabeths – Seite bezeichnet, dessen Bodenständigkeit und strebsamer Ernst ihn weit bringen würden. Aber Jonathan argwöhnte, dass das schon damals nichts weiter als nette, leere Worte gewesen waren. Mittlerweile dachte sein ehemaliger Chefredakteur jedenfalls mit Sicherheit ganz anders über ihn – und es stand ebenfalls außer Zweifel, dass er diese Gedanken auch dem Abgeordneten Holbrook zu passender Gelegenheit mitgeteilt hatte.
Ich gehöre nicht in diese Welt, in der Ansehen alles ist und Wahrhaftigkeit wenig bis gar nichts zählt , dachte Jonathan, und der Gedanke überraschte ihn. Noch vor wenigen Tagen hätte er solche Überlegungen vehement von sich gewiesen. Doch seine Berührung mit der Magie, die nicht nur wie mit einer Axt alle Haltetaue zu seinem früheren Leben durchschlagen, sondern ihm auch einen neuen Blickwinkel auf sein Leben und sein Lebensumfeld beschert hatte, ließ ihn klarer denn je sehen, dass er den Pfad, dem er bislang hatte folgen wollen, dringend überdenken musste. Aber nicht hier und nicht jetzt , ermahnte Jonathan sich.
Sein Blick glitt zu dem Balkon, auf dem Delacroix vorhin mit den Männern vom Yard gestanden hatte. Er war leer. Offensichtlich war es Robert tatsächlich gelungen, die Aufmerksamkeit der anwesenden Polizisten auf sich zu lenken. Vielleicht gab es aber auch einfach nichts mehr dort oben zu besprechen. Jonathan wusste nicht, wo genau in der Villa Elisabeths Zimmer lag, aber mit etwas Glück befand es sich nicht weit von besagtem Balkon entfernt. Schließlich schien auch der letzte Einbrecher auf diesem Weg ins Haus gelangt zu sein – ansonsten wäre dieser Platz für die Ordnungshüter nicht von solchem Interesse gewesen.
Jonathan warf einen Blick nach rechts und links. Die Park Street erwies sich als erfreulich unbelebt. Genau genommen war das nicht so ungewöhnlich, denn es gab hier keine Straßenkinder, keine fliegenden Händler und keinen normalen Verkehr, sodass der größte Trubel herrschte, wenn die Anwohner abends mit ihren prunkvollen Gespannen zu Gesellschaften aufbrachen und nachts von ihnen heimkehrten. Für beides war es noch zu früh.
Mit einer raschen Bewegung schleuderte er ein Fadenbündel ins Geäst eines nahen Baumes und schwang sich daran über die Mauer des holbrookschen Anwesens. Geduckt eilte er durch den Garten bis zum Haus. Er presste sich mit dem Rücken an die helle Fassade und achtete darauf, dass man ihn durch keines der hohen, weiß gestrichenen Fenster sehen konnte.
Jonathan hob den Kopf und nahm den Balkon über dem kleinen Erker ins Visier. Dieser besaß eine feste steinerne Balustrade, auf der kleine Zierbäume standen. Aufgrund des fensterreichen Erkers war es beinahe unmöglich, unbemerkt nach oben zu gelangen. Jonathan konnte also nur darauf hoffen, dass sich keiner in dem Raum dahinter aufhielt. Zu sehen war niemand, weder mit gewöhnlichen Augen, noch mit erweiterten magischen Sinnen, aber das wollte angesichts seines schlechten Blickwinkels nicht viel heißen.
Ich muss es einfach wagen , dachte er, warf ein dehnbares Fadenbündel hoch in die Luft und ließ sich daran zu dem Balkon hinaufziehen. Seine Finger bekamen die Balustrade zu fassen; schnell zog er sich hinauf und schwang sich darüber hinweg. Ich muss noch mehr Sport treiben , dachte er mit klopfendem Herzen. Das Leben als Magier ist anstrengender, als ich es mir vorgestellt hätte.
Kriechend bewegte er sich zur Hauswand hinüber
Weitere Kostenlose Bücher