Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Aufgabe liegt nicht in London«, erwiderte er.
»Das ist bedauerlich. Ihre Gaben wären sicher hilfreich gewesen.«
Scarcatores Mundwinkel umspielte ein Lächeln. »Das ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie das sagen. Ein anderes Mal vielleicht.«
»Also schön«, sagte Lionida. »Ich zwinge niemanden, mit mir einen Abend zu verbringen. Ich werde die Themse von Ihnen grüßen.« Sie warf ihm unter ihrem Hut einen schelmischen Blick zu, den Scarcatore jedoch überging. Manchmal vermisste die Magieragentin wirklich Pietro Araldo. Er wusste einen kleinen Flirt hier und da wenigstens zu schätzen. Ihrem gegenwärtigen Begleiter schien jedes Verständnis dafür abzugehen.
Sie passierten die Gästekabinen und danach die Geschützstände der Gladius Dei , bevor sie eine große Kammer erreichten, die bis in den Rumpf des Luftschiffes selbst hineinreichte. An den Wänden reihten sich Gestelle mit massiv wirkenden Metallzylindern, die abgerundete Spitzen und kleine Stabilisierungsflossen am hinteren Ende aufwiesen. Bomben , erkannte Lionida, und sie schauderte unwillkürlich. An Laufschienen angebrachte Kettengeschirre hingen von der Decke, die zweifellos dazu dienten, die tödlichen Sprengkörper zu der großen Luke zu bewegen, die in den Boden eingelassen war und von zwei Männern der Besatzung soeben geöffnet wurde.
In der Mitte des Raumes befand sich ein kurioses Gefährt. Es handelte sich um einen mit grauem Stoff bespannten Drahtkorb, der die Form eines liegenden Hühnereis hatte und an einem Stahlseil unter der Decke hing. Das Stahlseil führte über einen Flaschenzug zu einer Kurbel an der rechten Wand.
Von Stein hob die Hand und deutete auf das Ei. »Ich präsentiere Ihnen unseren Spähkorb«, erklärte er stolz. »Meine eigene Erfindung! Er erlaubt es uns, mit der Gladius Dei in den Wolken zu bleiben, während wir Sie zweihundert Meter in die Tiefe ablassen, damit Sie aussteigen können.«
Entgeistert blickte Lionida das fragile Gefährt an. »Nur damit ich Sie richtig verstehe, Herr Hauptmann. Wir befinden uns mehr als zweihundert Meter über dem Boden, und ich soll in dieses … Ding … steigen?«
Von Stein nickte eifrig.
»Na wunderbar«, murmelte die Magieragentin, bevor sie zuschaute, wie die beiden Männer vor ihnen den Spähkorb mit der Kurbel herabließen, damit sie bequem einsteigen konnte. An der Oberseite besaß der Korb eine Öffnung, und Lionida konnte sehen, dass ein mit braunem Leder bezogener Sitz im Inneren des alles in allem etwa hüfthohen Spähgefährts festgeschraubt war.
Einer der Luftschiffer reichte Lionida die schwielige Hand und half ihr, in den Korb zu steigen. Lionida wünschte sich, die Etikette würde sie nicht zwingen, einen langen Rock zu tragen, aber sie konnte sich unmöglich in Radfahrerhosen durch die Innenstadt Londons bewegen. Sie würde alle Blicke auf sich ziehen. Außerdem ließ sich in ausladender Kleidung einiges an Ausrüstung verstecken, und ohne diese hätte sie ungern das Luftschiff verlassen.
Ohne ihr inneres Unbehagen zu offenbaren und den Männern dadurch Grund zur Schadenfreude zu geben, setzte sich die Magieragentin in den Spähkorb. Sie streckte die Beine in den ovalen Bug des Gefährts, richtete ihren Rock und nickte von Stein zu. »Ich bin bereit.«
»Hervorragend«, sagte der Offizier, dann schlug er sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. »Dabei fällt mir ein, dass ich noch etwas für Sie habe.« Er griff in die Tasche seiner Uniformhose und beförderte ein schmales metallenes Kästchen zutage, das bis auf einen kleinen Schalter schmucklos war.
»Was ist das?«, fragte Lionida, als sie es entgegennahm und betrachtete.
»Ein Kurzstreckensender«, erwiderte ihr Gegenüber. »Wir werden Ihre Bewegungen am Boden natürlich verfolgen, so gut es uns möglich ist, ohne das Wolkenfeld verlassen zu müssen. Sollten Sie allerdings dringend Hilfe benötigen, legen Sie diesen Hebel um. Dann werden wir tun, was nötig ist, um Sie aus der Gefahrensituation herauszuholen. Und wie Sie wissen, stehen uns einige Möglichkeiten zu Gebote.«
»Ihre Sorge um mein Wohlbefinden ist rührend«, sagte Lionida mit einem warmen Lächeln.
»Ich sorge mich stets um die mir zum Schutz Befohlenen, insbesondere wenn es sich um Damen handelt«, erklärte von Stein galant und deutete eine Verbeugung an.
»Nun, wollen wir hoffen, dass ich den Sender nicht brauchen werde. Dennoch danke ich Ihnen.« Sie zog eine Braue hoch und blickte von Stein auffordernd an.
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