Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Trinker auf der Suche nach einem Unterschlupf für die Nacht zufällig über sie stolperte, parkte Grigori das Gespann im hinteren Teil der Halle und sprang mit schwerfälligen Bewegungen vom Kutschbock. Er nahm den Zylinder ab und rieb sich mit einer breiten Pranke über das Gesicht und den kahlen Kopf. »Nicht gut«, sagte der Russe in gebrochenem Englisch.
»Was ist nicht gut?«, fragte Sedgewick.
»Alles«, erwiderte Grigori.
Da musste ihm Sedgewick leider recht geben. Ihre Lage war wirklich alles andere als erfreulich. Nachdem sie mitbekommen hatten, dass der Wahnsinnige Wellington mit einer unbekannten Anzahl Schergen in die Untere Guildhall eingedrungen und die dortige Ratsversammlung gesprengt hatte, waren Randolph und er in aller Heimlichkeit aus der Bibliothek geflohen. Einige Umwege durch selten benutzte Gänge in Kauf nehmend, hatten sie kurz darauf den Hinterausgang des Ordenshauptquartiers erreicht, und in den Stallungen, die sich – als kleines Fuhrunternehmen getarnt – einige Häuser entfernt befanden, waren sie auf Grigori gestoßen, der, wie so oft mehr um seine vierbeinigen Schützlinge als um die Geschicke des Silbernen Kreises besorgt, von dem Umsturz noch gar nichts mitbekommen hatte. Gemeinsam hatten sie eine Kutsche angespannt und waren damit hinaus in den Londoner Nebel geflohen.
Den in magischem Schlaf liegenden Giles McKellen und die gefesselte, geknebelte und vor Wut schäumende Mary-Ann McGowan hatten sie mitgenommen; McKellen, weil er ein Verbündeter war – wenn auch gegenwärtig ein wenig hilfreicher –, und McGowan, weil der Moment kommen mochte, an dem sie ein Unterpfand benötigen würden, um sich vor Wellingtons Zorn zu schützen. Sedgewick hoffte, dass es nicht dazu kommen würde. Die grauenvollen Schreie, die aus der Großen Ratskammer gedrungen waren und durch die Gänge der Unteren Guildhall gehallt hatten, verfolgten ihn noch immer im Geiste.
Er wandte sich an Randolph, um die bange Frage zu stellen, die ihn bereits während ihrer ganzen Irrfahrt durch nächtliche Straßen beschäftigt hatte. »Glauben Sie, Wellington hat alle umgebracht, die sich ihm und seinen Plänen nicht untergeordnet haben?«
Randolph zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, bekannte er düster. »Ich hoffe, nicht. Ich kann und will mir nicht vorstellen müssen, dass sie alle tot sind: Holmes … Jonathan … die junge Kendra McKellen …«
»Und vergessen Sie Cutler nicht«, fügte Sedgewick hinzu.
»Käme mir nie in den Sinn«, sagte Randolph. Er hämmerte mit der Faust gegen die Kutschkabine. »He, Werteste! Aussteigen!«
»Sie haben ihr die Beine gefesselt, Mister Brown. Sie kann nicht aussteigen«, erinnerte ihn Sedgewick.
»Ach, richtig«, brummte Randolph, kletterte ins Innere und zerrte McGowan ins Freie. Gedämpfte Protestlaute drangen durch den Knebel, der in ihrem Mund steckte, aber sie wehrte sich nicht, was zweifellos klug war, denn mit verbundenen Augen und eingeschnürt, wie sie war, wäre sie keine fünf Schritte weit gekommen, ohne hinzufallen, wenn der Kutscher sie nicht festgehalten hätte.
Randolph warf sich die Magierin kurzerhand über die Schulter und trug sie an einem niedrigen Kistenstapel vorbei zu einem Aufenthaltsbereich der Lagerarbeiter, der neben einem kleinen Kanonenofen, einem leeren Regal an der Wand und einem Tisch sechs Stühle zum Sitzen bot. Auf einem von ihnen lud er sie ab. Anschließend band er sie daran fest.
Unterdessen schleppten Grigori und Sedgewick den bewusstlosen McKellen heran und legten ihn auf einige alte Säcke. Auf den Sitzpolstern der Kutsche wäre es für den schottischen Magier sicher bequemer gewesen. Aber sie wollten ihn im Blick behalten für den Fall, dass sich sein seltsamer Zustand irgendwie änderte.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Sedgewick, nachdem sich die drei Männer um den Tisch versammelt hatten.
»Wir müssen herausfinden, was in der Guildhall vor sich geht«, knurrte der ehemalige Kutscher und Vertraute Dunholms. »Was hat Wellington mit unseren Freunden gemacht? Sind sie gefangen? Droht ihnen Gefahr? Können wir sie irgendwie befreien?« Er machte eine kurze Pause und schien nachzudenken. »Und danach gilt es zu überlegen, wie wir diesem Mistkerl gehörig die Suppe versalzen können. Er hat Dunholm und Crowley auf dem Gewissen … und wer weiß, wen noch mittlerweile. Ich will verdammt sein, wenn ich zusehe, wie er damit ungeschoren davonkommt.« Randolph kratzte sich am unrasierten Kinn und sah sich
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