Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Kendra liegen blieb.
Oh nein, nicht gut , durchfuhr es Jonathan, und er spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.
»Miss McKellen«, sagte Carlyle. »Wären Sie so freundlich, mich zu Lordmagier Wellington zu begleiten?«
»Ich?«, entfuhr es Kendra ungläubig. Ihre Hand verkrampfte sich um Jonathans.
»Was hat das zu bedeuten, Mister Carlyle?«, mischte sich nun auch Cutler ein. »Miss McKellen ist Gast in diesen Hallen … oder war es vielmehr. Sie hat mit diesem Disput nichts zu tun.«
»Das zu entscheiden obliegt allein dem Lordmagier«, erwiderte der Leiter für äußere Angelegenheiten. Als er sah, dass Drummond mit finsterer Miene die Fäuste ballte und Ashbrook mit Wilkins bedeutungsvolle Blicke wechselte, hob er warnend eine Hand. »Machen Sie keine Dummheiten, meine Herren! Es muss nicht noch mehr Tote in dieser Nacht geben. Lordmagier Wellington möchte sich mit Miss McKellen lediglich unterhalten. Ihr wird kein Leid geschehen.«
»Dafür verbürgen Sie sich als Ehrenmann?«, verlangte Cutler zu wissen.
Carlyle wollte gerade antworten, aber Drummond kam ihm zuvor. »Sie nennen ihn noch immer einen Ehrenmann, Mister Cutler? Ich würde auf sein Wort nichts mehr geben, und wenn es mir auf einem Silbertablett serviert würde.« Der ehemalige Leiter der Magieabwehr schnaubte abfällig.
»Sie wollen es also lieber auskämpfen?«, erkundigte sich Carlyle mit harter Miene.
»Ich würde nichts lieber tun, als es mit Ihnen auszukämpfen, Sie Verräter.« Der Schotte hob die Fäuste, und Carlyles Begleiter richteten die Läufe ihrer Gewehre auf ihn.
»Halt!«, sagte Kendra in diesem Augenblick. Sie warf Jonathan einen warnenden Blick zu, der heimlich seine Hand aus der ihren löste und hinter seinem Rücken verbarg. »Wegen mir soll kein Blut vergossen werden. Ich werde mit Mister Wellington sprechen.« Sie stand auf und trat dabei wie zufällig direkt vor Jonathan, sodass sie seine direkte Sicht auf Carlyle – oder viel wichtiger: dessen Sicht auf Jonathan – versperrte.
»Sind Sie sich sicher?«, fragte Holmes.
»Ja«, erwiderte Kendra. »Es ist schon in Ordnung. Wenigstens sitze ich dann nicht länger hier herum.«
Sie hofft zu erfahren, was mit ihrem Großvater und den anderen geschehen ist , erkannte Jonathan. Vielleicht war der Gedanke gar nicht dumm. Er hoffte nur, dass Wellington ihr nichts antat. Ein kaum zu unterdrückendes Bedürfnis, ihr zu sagen, sie möge auf sich aufpassen, wallte in seinem Inneren auf. Aber er zwang sich, die Worte hinunterzuschlucken. Er durfte keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Der Ring von Dunholm musste geschützt werden.
Schweigend sahen sie zu, wie die junge Frau zu Carlyle und seinen Begleitern hinüberging und dann von ihnen hinausgeführt wurde. Als die Tür dumpf hallend wieder ins Schloss fiel, hatte der Laut etwas so Endgültiges, dass es Jonathan einen Schauer über den Rücken jagte.
Während sie durch die Korridore der Unteren Guildhall geführt wurde, betete Kendra zu allen Heiligen, dass sie nicht den größten – und zugleich letzten – Fehler ihres jungen Lebens gemacht hatte. Aber welche Wahl hatte ich denn schon? , dachte sie. Sie hätten mich so oder so geholt. Wenigstens würde sie auf diese Weise ein paar Informationen über die Vorgänge in der Guildhall sammeln können, die ihnen später vielleicht nützlich waren. Das hoffte sie zumindest.
Eines fiel ihr recht schnell auf: Die Gänge waren ziemlich leer. Bis auf eine Handvoll dieser seltsamen Fischmenschen, die im Kellerbereich des Ordenshauptquartiers Wache gehalten hatten, und ein oder zwei Magiern, die ihnen unterwegs entgegenkamen, herrschte eine eigentümliche Ruhe. Kendra konnte es sich zwar kaum vorstellen, aber es schien, als wären die Anhänger Wellingtons nach dem erfolgreichen Putsch einfach nach Hause zu ihren Lieben gegangen, um vor dem Kamin noch ein Gläschen Portwein zu trinken. Und, mein Gatte, wie war dein Tag? , fragte eine weibliche Stimme sarkastisch in ihrem Inneren. Gut, danke, ich habe ein paar Freunde verraten und einem Verrückten an die Macht geholfen, und deiner? , erwiderte eine männliche.
»Da wären wir«, sagte Carlyle und riss Kendra aus ihren Gedanken. Er öffnete eine Tür und ließ sie vorgehen.
Ihr Gastgeber wandte sich zur ihr um, die Hand noch an einem Buch, das er soeben in das Regal hinter sich gestellt hatte. Wellington war ein hagerer Mann mit aristokratischen Gesichtszügen, zurückweichendem silbergrauem Haar und rauchgrauen
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