Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
in der dunklen Halle um. »Aber zuerst brauchen wir mal etwas zu essen und ein paar Stunden Schlaf.«
»Wie können Sie in einer Situation wie dieser nur an Essen und Schlaf denken?«, entfuhr es Sedgewick.
»Ganz einfach. Ich habe Hunger und bin müde. Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass ich heute bereits einen mehrstündigen Ausflug in einer furchtbar unbequemen Motorkutsche irgendwo aufs Land nördlich von London hinter mir habe. Ganz zu schweigen von einem Kampf auf Leben und Tod auf dem Dach eines dahinrasenden Zuges inmitten eines magischen Gewitters. Und vergaß ich bisher zu erwähnen, dass das verdammte Gefährt von einer magischen Entladung getroffen wurde und praktisch in die Luft geflogen ist, während wir an Bord waren?« Randolph verzog das Gesicht. »Das war kein Spaß. Und die ganze Zeit nichts Ordentliches zu beißen.«
»Essen. Schlafen«, meldete sich nun auch Grigori zu Wort und nickte. »Dann kämpfen.«
»Aber wo wollen Sie mitten in der Nacht in den Docklands etwas zu essen herbekommen?«, wollte der Magispector wissen. »Wir können doch jetzt nicht einfach losziehen und das nächste Pub aufsuchen. Wer hält unterdessen Mister McKellen und Miss McGowan im Auge?«
»Ich werde mich mal in den Nachbarhallen umsehen«, erklärte Randolph. »Es treffen genug Schiffe mit Lebensmitteln in den Docks ein; es muss doch irgendwo etwas geben, das sich als kleine Mitternachtsmahlzeit eignet. Sie und Grigori passen derweil auf unsere Gäste auf.«
Sedgewick schaute unsicher zu McGowan hinüber. »Das halte ich für keine gute Idee«, bekannte er mit gesenkter Stimme. »Sie ist stärker als Grigori und ich zusammen.«
»Sie ist vollkommen hilflos, von allen Fäden abgeschnitten«, entgegnete Randolph ebenso leise. »Und wenn sie Anstalten macht, Ärger zu bereiten, verpassen Sie ihr einfach eine.« Er ballte zur Verdeutlichung die Faust.
Sedgewick tat es ihm nach, und ihm wurde schmerzlich bewusst, dass seine eigene Faust weitaus weniger eindrucksvoll wirkte als die des Kutschers. Dennoch nickte er, denn er wollte nicht wie ein Feigling vor Brown dastehen. Wenn dieser glaubte, McGowan stelle gegenwärtig keine Gefahr dar, dann musste das wohl so sein. »In Ordnung.«
»Sehr gut.« Randolph klopfte dem Magispector aufmunternd auf den Oberarm. »Keine Sorge, Sedgewick. Grigori ist ja auch noch da. Und ich komme so schnell wie möglich wieder.« Mit diesen Worten drehte er sich um, ging zum Hallentor, entfernte die Sicherungen und verschwand nach draußen. Grigori folgte ihm schweigend.
»He, wo wollen Sie denn hin?«, wollte Sedgewick wissen.
»Tor«, erklärte der Russe und zeigte auf den nun offenen Eingang. »Und …« Mit vager Geste deutete er in seinen Lendenbereich. »… Drang.«
»Na wunderbar«, murmelte der Magispector. »Der eine hat Hunger, der andere muss sich erleichtern. Bin ich eigentlich der Einzige, der ernstere Sorgen hegt?« Resigniert nickte er Grigori zu. »Ja, gehen Sie ruhig. Ich halte hier Wache.«
Der Russe verschwand in Richtung Hallentor, und Sedgewick ließ sich seufzend auf einem der Stühle nieder. Mit einem raschen Blick versicherte er sich, dass McKellen noch immer reglos auf seinen Säcken lag, für gewöhnliche Augen nicht mehr als ein wenig golden schimmernd, in der Wahrsicht dagegen in einen hell glitzernden und für Fäden gleich welcher Art undurchdringbaren Kokon eingesponnen. Sedgewick hatte keine Ahnung, was mit dem schottischen Magier passiert war. Er hatte etwas Derartiges noch nie gesehen.
Er wechselte zurück in die Normalsicht und richtete seinen argwöhnischen Blick auf McGowan, die in verkrampfter Haltung auf ihrem Platz saß. Randolph hatte sich nicht viel Mühe gegeben, es ihr bequem zu machen, und auch wenn ein Teil von Sedgewick ihr jede Qual, die sie erleiden musste, gönnte – schließlich hatte sie vor kaum mehr als zwei Stunden versucht, ihn umzubringen –, widerstrebte es dem Ehrenmann in ihm doch ein wenig, einer Frau mutwillig Leid zuzufügen, vor allem einer so schönen Frau wie Mary-Ann. Warum müssen Sie nur so ein niederträchtiges Weibsstück sein? , dachte Sedgewick mit einem Anflug von Bedauern. Warum müssen Sie nur auf der falschen Seite stehen in diesem … Es widerstrebte ihm, das Wort Krieg zu denken, aber ihm war klar, dass der Konflikt zwischen den Anhängern Wellingtons und den Getreuen des verstorbenen Albert Dunholm schon längst keine dezente Meinungsverschiedenheit oder Rauchersalondebatte mehr war.
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