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Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit

Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit

Titel: Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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ihr Kinn und zwang Kendra, ihm in die Augen zu blicken. Das funkelnde Treiben in seinen Pupillen hatte sich zu einem wahren Schneesturm verstärkt, einem Wirbeln im schwarzen Nichts, das sie zu verschlingen drohte. »Wer wird denn gleich ausfallend werden?«, zischte der Lordmagier leise. »Ich möchte doch lediglich ein paar Dinge wissen: Wer ist Ihr Großvater? Was hat es mit diesen Wächtern auf sich, denen er angehört? Woher wusste er von der Wahren Quelle der Magie? Und was wollte er hier in London bei Lordmagier Dunholm?« Der Kopfschmerz hinter Kendras Stirn steigerte sich zu einem gleißenden Inferno, als Wellingtons Spürfäden ihren Geist gewaltsam nach Antworten zu durchwühlen begannen.
    »Ich weiß es nicht«, presste Kendra zwischen den Zähnen hervor. Tränen des Zorns und der Qual traten in ihre Augenwinkel. »Und wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen. Niemals.«
    Der Lordmagier verzog verächtlich das Gesicht. »Ihre Dreistigkeit ist ebenso unangebracht wie zwecklos. Ich könnte Sie auf der Stelle vernichten, und es würde mich nicht einmal anstrengen. Sie können mir nicht widerstehen.«
    Kendras Augenlider flatterten, und ihr Herzschlag raste, während Schmerzwelle um Schmerzwelle durch ihren Geist rollte. Sie konnte sich nicht rühren. Sie konnte nicht fliehen. Es gab keine Rettung. Nein! , schrie es voller Wildheit in ihrem Inneren. Nein!
    Auf einmal zog sich die Wirklichkeit um sie herum zurück, und das glitzernde Leuchten der Wahrsicht überkam sie. Alle Muskeln in ihrem Körper schienen sich gleichzeitig anzuspannen, als eine Woge der Magie in ihr emporbrandete. Mit einem heftigen Ruck befreite Kendra ihre Arme aus den Fäden, die sie an das Regal fesselten, schwang sie herum und schlug sie Wellington links und rechts gegen den Schädel.
    Die Vision kam in stakkatoartig aufblitzenden Bildern: eine Insel im Meer, von der eine Lichtsäule in den Himmel tost, ein Kreis von Fischwesen mit Speeren in der Hand, Hyde-White, der Golem, grausig verwandelt, ein fleischig gepanzerter Leviathan, der aus dem Meer auftaucht, klagende Münder in grauen Gängen, flehende Arme, ein brennendes Schiff …
    Von einem Augenblick auf den anderen war der Schmerz in ihrem Kopf verschwunden. Die Fadenbündel lösten sich, und Kendra stürzte zitternd vor Erschöpfung und Entsetzen zu Boden.
    Gleichzeitig taumelte Wellington getroffen drei Schritte in den Raum hinein, bevor er sich zu fangen vermochte und blinzelnd zum Stehen kam.
    Steh auf! , schrie es in Kendra. Komm auf die Beine! Mühsam zog sie sich an dem Regal in die Höhe und ging in Verteidigungsstellung, die Arme abwehrbereit erhoben. Doch schon im nächsten Moment stieg die Erinnerung an einen gewaltigen Feuerball in ihr auf, der Lord Cheltenham binnen Augenblicken tosend verschlungen hatte. Ihre Arme sackten wieder herab. Wellington hatte recht: Es war zwecklos. Sie mochte ihm einen Moment lang die Stirn geboten haben, aber letzten Endes war sie seiner Macht nicht im Geringsten gewachsen. Ich bin tot , erkannte sie.
    Aber Wellington griff nicht an, beschwor kein flammendes Inferno herauf, um ihrem kleinen Leben ein Ende zu setzen. Stattdessen musterte er sie einen Moment lang aus zusammengekniffenen Augen.
    »Bemerkenswert«, sagte er. »Ihre Kräfte sind in der Tat bemerkenswert.« Er straffte sich und legte die Finger vor dem Bauch zusammen. »Ihnen ist natürlich klar, dass ich Sie für diese Frechheit auf der Stelle umbringen sollte.«
    Kendra presste die Lippen zusammen und versuchte krampfhaft, den Schwindel zu unterdrücken, der von ihr Besitz zu ergreifen drohte.
    »Aber das werde ich nicht tun«, fuhr Wellington fort. »Lebend sind Sie weitaus wertvoller für mich – auch wenn Sie tatsächlich nichts über die Wächter und ihre Ziele wissen, wie ich mich mittlerweile überzeugen konnte.« Ein dünnes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Gehen Sie zurück zu Ihren Freunden, und ruhen Sie sich aus. Sie werden Ihre Kraft noch brauchen.«
    Er vollführte eine Geste, und wie von Geisterhand öffnete sich die Tür, die hinaus auf den Gang führte. Die beiden Wachen, die Kendra hierher geführt hatten, warteten auf sie.
    Gesenkten Hauptes, aber die Hände zu Fäusten geballt, trat Kendra den Rückweg zum Kerker an.
    21. April 1897, 23:47 Uhr GMT
England, London, Nightingale Lane
    Randolph war mit dem Ergebnis seines Beutezugs durch die Lagerhallen der St. Katharine Docks leidlich zufrieden. Er hatte einige Kisten mit Schiffszwieback

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