Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Marazor«, las sie den in schlichten schwarzen Lettern gedruckten Titel vor. Dieser Titel rief eine Erinnerung in ihr wach. Wenn sie sich nicht täuschte, hatte das Buch in der Ordensbibliothek auf dem Tisch gelegen, als Jonathan, Holmes, Brown und sie mit Whitby und ihrem Großvater im Schlepptau dort aufgetaucht waren und die beiden Ordensmagier Cutler und Sedgewick vor der Furie Miss McGowan gerettet hatten.
Wellington nickte. »Ganz recht. Es ist ein beliebtes Werk unter Magiehistorikern. Allerdings – und bitte verraten Sie es nicht – besitze ich eine Kopie des ungekürzten Originalmanuskripts. Sie müssen wissen, dass Professor Marazor noch einige interessante Details über die Beschaffenheit der Wahren Quelle der Magie herausgefunden hatte, die er eigentlich in seinem Buch veröffentlichen wollte. Aus unerfindlichen Gründen fehlen diese Erkenntnisse jedoch im fertigen Druckwerk. Glücklicherweise konnte ich über einige Umwege in den Besitz dieser frühen Fassung gelangen.« Kendras Gegenüber machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich habe mich lange gefragt, was den Professor dazu bewogen haben könnte, sein Wissen zurückzuhalten. Zunächst hatte ich die Inquisition im Verdacht, aber die hätte die Veröffentlichung von Marazors Studien vermutlich vollständig verhindert und ihn gleich zusammen mit seinem Manuskript verschwinden lassen. Mittlerweile glaube ich jedoch, dass eine Gruppe von Männern für die Kürzungen verantwortlich war, die subtiler zu Werke geht, eine Gruppe, deren Existenz so geheim ist, dass selbst die großen Magierorden in Europa und Amerika nichts von ihr wissen.«
»Wovon sprechen Sie?«, fragte Kendra, die sich zunehmend Gedanken machte, was Wellington eigentlich von ihr wollte. Er hatte sie doch sicher nicht zu sich bringen lassen, um Konversation zu betreiben.
»Von den Wächtern«, erwiderte Wellington und blickte sie scharf an.
In seine Augen war ein Glitzern getreten, das beunruhigend wirkte. Irgendetwas bewegte sich in seinen Pupillen, wirbelnd wie funkelnde Schneeflocken im Schein einer abendlichen Straßenlaterne. Kendra ertappte sich dabei, dass sie wie hypnotisiert in das Treiben hineinstarrte, und blinzelte irritiert. »Den Wächtern?«, fragte sie. »Davon habe ich noch nie gehört.«
Wellington hielt ihren Blick noch einen Moment lang fest, dann entspannte sich seine Miene ein wenig, und er zuckte mit den Schultern. »Nun, das wundert mich nicht«, sagte er, als er das Buch zurückstellte. »Schließlich kommen Sie, wie mir gesagt wurde, aus Schottland, und wahrscheinlich leben Sie dort auf dem Lande, nicht wahr? Lassen Sie mich raten: westliche Highlands?«
Kendra nickte stumm. Sie verriet kein Geheimnis, wenn sie das bestätigte.
»Eine schöne Gegend. Ich habe mal eine Weile in Glasgow gelebt und dabei Studienreisen nach Loch Ness und zum Ben Nevis unternommen. Es war eine inspirierende Erfahrung. In den Highlands herrscht dieses ganz besondere Licht, wenn nach einem Regenschauer die Sonne wieder hervorkommt …« Ein versonnener Ausdruck legte sich auf Wellingtons Züge.
»Sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen!«, rief Kendra erregt. Sie ertrug es nicht länger, dass er so belanglos vor sich hin plauderte. Sie war müde und hungrig, und hinter ihrer Stirn pochte ein dumpfer Kopfschmerz, der noch zugenommen hatte, seit sie sich in Wellingtons Gesellschaft befand. Ein Kopfschmerz, der noch zugenommen hatte …
Und plötzlich erkannte sie es. »Raus aus meinem Geist!«, schrie sie wütend. Ohne auch nur in die Wahrsicht zu wechseln, stieß sie ihre Arme vor, um dem Lordmagier zwei Fadenbündel entgegenzuschleudern, von denen sie hoffte, dass sie ihn zumindest ein wenig aus der Fassung bringen würden.
Die Luft zwischen ihnen beiden flirrte, und Wellington keuchte überrascht auf. Er machte einen unfreiwilligen Schritt nach hinten und verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes. Im nächsten Augenblick gewann Zorn die Überhand, und der Lordmagier trat wieder auf Kendra zu. Mit einer erschreckend beiläufigen Fingerbewegung warf er sie gegen das Regal. Benommen versuchte Kendra sich wieder zu fangen, da deutete Wellington schon auf ihre Arme, die von unsichtbarer Hand gepackt nach oben flogen und links und rechts neben ihrem Kopf an die stabilen Regalbretter gekettet wurden.
Kendra stieß einen Schrei aus und bäumte ihren Körper auf, aber stahlharte Fäden fesselten sie unerbittlich an das Möbelstück in ihrem Rücken.
Wellington ergriff
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