Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
erhob sich. »Fragen wir sie doch mal.«
Mit schweren Schritten ging er zu der Magierin hinüber und baute sich vor ihr auf. »Also schön, McGowan. Ich nehme Ihnen jetzt den Knebel ab, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Schreien Sie, und ich schicke Sie ins Reich der Träume. Versuchen Sie irgendwelche magischen Tricks, und ich werfe Sie samt Stuhl ins Hafenbecken. Haben Sie mich verstanden?«
Einen Moment lang reagierte McGowan überhaupt nicht. Gehört hatte sie ihn mit Sicherheit. Wahrscheinlich wollte sie deutlich machen, dass sie selbst jetzt noch keine Angst vor dem Kutscher hatte, der für sie in der Hierarchie des Ordens irgendwo ganz unten zwischen der Köchin und dem Dienstboten angesiedelt war. Randolph hingegen ließ sich von ihr nicht reizen, sondern blieb ganz ruhig, bis sie schließlich bestätigend den Kopf neigte.
»Gut«, sagte er und nahm das Stück Stoff ab, das er in der Bibliothek am unteren Saum ihres Kleides abgerissen und ihr danach zum Teil in den Mund gestopft, zum Teil zusammengerollt umgebunden hatte.
McGowan spuckte einige Fussel aus und verzog das Gesicht. »Das werden Sie noch bereuen, Brown. Irgendwann werden Sie es bereuen.«
»Mit Sicherheit, aber nicht heute«, erwiderte er, bevor er den Stuhl an der Lehne packte und McGowan mit einer kräftigen Bewegung zu sich herumzog. Er funkelte das Tuch an, hinter dem sich ihre Augen verbargen. »Und jetzt erzählen Sie mal: Was geht in der Guildhall vor sich? Wie sehen Wellingtons Pläne aus? Und was ist mit unseren Freunden geschehen?«
Die Magierin schnaubte durch die Nase. »Ich erzähle Ihnen gar nichts. Darauf können Sie lange warten.«
»Ich bin kein sonderlich geduldiger Mensch«, drohte Randolph.
McGowans Lippen verzogen sich zu einem süffisanten Lächeln. »Was wollen Sie machen? Glauben Sie wirklich, Sie könnten mich zu irgendetwas zwingen?«
Unwillkürlich ballte der Kutscher die Fäuste. Er wechselte in die Wahrsicht und betrachtete ihre Fadenaura. Sie wirkte erstaunlich kontrolliert, gab nichts von der Unruhe oder Angst preis, die eine Frau in McGowans Lage eigentlich hätte empfinden sollen. Einmal mehr wurde ihm klar, dass er sie nicht unterschätzen durfte. Mary-Ann McGowan mochte das Aussehen einer jugendlichen Unschuld vom Lande haben, aber sie war alt und gefährlich – älter und gefährlicher als er selbst. Auf ein mentales Duell mit ihr durfte er sich auf keinen Fall einlassen. Mit einem Blinzeln ließ er die Wahrsicht fallen.
McGowan schien seinen Konflikt zu spüren, denn ihr Lächeln wurde breiter. »Nun wissen Sie nicht mehr weiter, hm? Da lache ich doch n…«
In diesem Augenblick schlug Randolph zu. Der Schlag kam so plötzlich, war einem so instinktiven Aufwallen von Zorn auf dieses arrogante Weib geschuldet, dass niemand darauf vorbereitet war, nicht einmal er selbst. Seine Faust traf McGowans rechte Wange und riss ihren Kopf herum. Ihre Unterlippe platzte auf, und vereinzelte Blutstropfen flogen durch die Luft.
»Randolph!«, rief Sedgewick in seinem Rücken erschrocken und machte Anstalten, näher zu kommen, doch der Kutscher gebot ihm mit erhobener Hand fernzubleiben.
Langsam senkte er die Hand wieder und begutachtete das Blut auf seinen Knöcheln. Scham brandete in ihm empor, dass er sich dazu hatte hinreißen lassen, eine Frau zu schlagen. Aber er verspürte auch eine gewisse Befriedigung. Sie hatte den Schlag zweifellos verdient. Sie verdiente viel mehr als nur das.
McGowan schüttelte leicht den Kopf, als wolle sie einen Anflug von Benommenheit überwinden, und betastete mit ihrer Zungenspitze die Unterlippe. Helles Blut lief ihr das Kinn hinab, aber sie konnte nichts dagegen tun, da ihre Hände gebunden waren. »Sie Barbar«, fauchte sie, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. »Sie elender Hafenschläger! Dunholm hätte Sie niemals aus der Gosse auflesen dürfen! Wären Sie bloß in der Magiespalte versunken, aus der er Sie gefischt hat.«
Beinahe ohne sein Zutun ballte sich Randolphs Faust erneut.
»Nein«, rief Sedgewick und trat nun, die Weisung des Kutschers missachtend, doch näher, um eine Hand auf Randolphs Arm zu legen.
Dieser warf dem Magispector einen finsteren Blick zu.
»Nein«, wiederholte Sedgewick. Seine Wangen glühten vor Aufregung über dieses für seine Verhältnisse ungewohnt mutige Eingreifen, aber seine Stimme klang entschlossen. »Sie sagten es selbst: Wir sind nicht wie die. Also handeln Sie auch danach. Abgesehen davon …« Er schaute zu der Magierin
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