Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
nachgingen – Magie, die nur im Verborgenen ausgeübt werden durfte, brachte für gewöhnlich kein Geld für den Lebensunterhalt ein –, hatte sich an diesem Vormittag bereits eine große Zahl der Anhänger des Neuen Morgens in der Unteren Guildhall eingefunden. Sie diskutierten nicht nur über die Folgen des gestrigen Putsches, sondern sorgten vor allem für das reibungslose Weiterlaufen der Geschäfte, die zuvor von gegenwärtig eingekerkerten Ordensmitgliedern geführt worden waren. Schließlich durfte der Orden nach außen hin keinen Eindruck von Chaos oder Instabilität erwecken. Das wäre eine Einladung für ausländische Gruppierungen gewesen, auf dem Gebiet des Silbernen Kreises zu wildern.
Bei der Vorstellung, dass irgendein Unwissender in Frankreich oder dem Deutschen Reich den Orden für eine leichte Beute halten könnte, breitete sich unwillkürlich ein finsteres Lächeln auf Duncans Zügen aus. Er würde gerne erleben, wie feindliche Magierspione versuchten, aus der gegenwärtigen Lage ihren Vorteil zu ziehen, und dabei Wellington und ihm in die Arme liefen. Kommt nur, ihr Dreckskerle! Ich würde euch nur zu gerne zeigen, wie schwach der Orden derzeit ist , dachte Duncan.
Er erreichte die Tür zu Wellingtons Gemächern und hämmerte mit seiner rechten Klaue gegen das Holz.
»Herein«, erklang die Stimme des neuen Ersten Lordmagiers.
Behutsam drückte Duncan die Klinke herunter und schob die Tür auf. Es war nicht leicht für ihn, sich in seiner neuen Gestalt in der Unteren Guildhall zu bewegen. Gewöhnliche Türen waren fast zu klein für seinen aufgedunsenen und gepanzerten Leib.
Er fand Victor Wellington an seinem Schreibtisch vor, beinahe wie er es erwartet hatte. Papiere und Bücher – manche von ihnen sehr alt wirkend, manche mit dem Wappen des Silbernen Kreises versehen und offenkundig neueren Datums – stapelten sich vor ihm.
Als Duncan eintrat, hob sein Meister den Blick. »Ah, Duncan, was kann ich für Sie tun?«, fragte Wellington. »Haben Sie schon Dunholms Ring gefunden?«
»Nein«, knurrte Duncan. »Keiner der Gefangenen scheint ihn bei sich zu tragen. Ich habe mir alle vier Gruppen angeschaut. Holmes meinte, der Franzose könnte ihn sich genommen haben, weil er ihn für ein einfaches Schmuckstück gehalten habe und sich habe bereichern wollen.«
Wellington machte ein misstrauisches Gesicht. »Sagt Holmes das? Nun, ich kenne den Franzosen nicht so gut, wie ich es gerne täte, dafür kenne ich Holmes besser, als es mir lieb ist. Jupiter Holmes ist ein Schurke im Kleid eines Gentlemans. Er würde jeden Trick anwenden, den er kennt, um Sie in die Irre zu führen. Wenn er also sagt, der Franzose habe den Ring möglicherweise genommen, ist zumindest eines klar: Der Franzose hat ihn nicht! Nein …« Der Lordmagier schüttelte den Kopf und schaute gedankenvoll ins Leere. »Ich tippe in diesem Fall eher darauf, dass Randolph Brown ihn an sich genommen hat. Von uns allen stand er Dunholm immer am nächsten. Ich bezweifle, dass ihm die Bedeutung des Rings klar war. Wahrscheinlich hat er ihn als Andenken an den Alten Mann behalten wollen. Eine rührselige, aber nachvollziehbare Geste.« Seine Miene verhärtete sich, als er den Blick erneut Duncan zuwandte. »Das heißt also, wir sollten all unsere Bemühungen darauf konzentrieren, Brown zu finden. Haben Sie Carlyle heute schon gesehen?«
»Noch nicht«, verneinte Duncan erneut. »Dafür hat mir Crandon gemeldet, dass die Gefangenen um Drummond gewaltsam versucht haben, aus ihrem Gefängnis auszubrechen. Allem Anschein nach haben sie die Wachen getäuscht und wollten diese danach überwältigen. Mit knapper Not konnte Crandon mit einer zweiten Gruppe den Ausbruchsversuch vereiteln.«
Wellington wölbte milde überrascht eine Augenbraue. »Ist das so?«
»Ja. Und es kommt noch schlimmer. Als ich ging, um nach dem Rechten zu sehen, erwischte ich Drummond, dem es irgendwie gelungen war, sich während des Tumults aus der Zelle zu schleichen, dabei, wie er versuchte, das Schloss aufzubrechen und die übrigen Gefangenen herauszulassen.«
»Sie haben ihm natürlich zu verstehen gegeben, dass wir ein solches Verhalten nicht gutheißen«, vermutete Wellington.
»Das habe ich«, bestätigte Duncan grimmig. »Aber alleine die Tatsache, dass es einem der Gefangenen gelingen konnte freizukommen, und das bereits nach so kurzer Zeit, sollte uns zu denken geben. Zumal ihr Kampfgeist alles andere als erloschen ist. Als ich ihnen gegenüber mein
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