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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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in ihm aufstieg. Er biss die Zähne zusammen und hielt sich den Mund zu. Der Laut kam als unterdrücktes Grunzen über seine Lippen. Wenn ich jetzt jemandem über den Weg laufe, denkt derjenige vermutlich, mir wäre übel , kam es ihm in den Sinn. Nicht die schlechteste Ausrede, um in Richtung Deck zu stürmen.
    Er erreichte die Tür zum Hauptdeck, öffnete sie und begab sich ins Freie. Den Oberkörper nach vorne gebeugt, hastete er zur Reling hinüber und krümmte sich darüber. In diesem Augenblick spürte er, wie seine Beine versuchten, sich abzustoßen und ihn über den Rand des Schiffes zu katapultieren. Instinktiv klammerte er sich an der Reling fest und zwang sich, den Sprung abzubrechen. Pennington, du Mistkerl , dachte er. Wolltest du uns etwa ins Meer stürzen?
    Der Franzose atmete tief durch, und seine verstohlenen Blicke huschten dabei über Deck. Es war niemand zu sehen. Selbst das Steuer war unbemannt, allerdings mit einem Tau befestigt. Mit vollen Segeln glitt das Schiff vor der Morgendämmerung her über den Ozean. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der Holländer es wieder in dichten Nebel hüllen würde.
    Der Franzose legte den Kopf in den Nacken und suchte die Takelage ab. »Richelieu«, flüsterte er. Er wagte es nicht, die Stimme zu heben, aber das war für gewöhnlich auch nicht nötig. Der Falke hatte scharfe Sinne und würde ihn bereits bemerkt haben, wenn er hier irgendwo war.
    Wie zur Bestätigung stürzte sich unvermittelt ein kleiner dunkler Schatten vom höchsten Mastbaum herab und schoss auf den Franzosen zu. Dieser hob den Arm, doch der Falke wich ihm aus, flatterte noch zweimal und landete auf der nahen Reling. Er legte den Kopf schief und musterte den Mann vor sich aus gelben Raubvogelaugen. »Richelieu, ich bin es«, sagte der Franzose. Er sprach mit dem Vogel Französisch, auch wenn Pennington ihn in seinem Geist mit englischen Vokabeln verwirrte.
    Richelieu krächzte einmal kurz, dann breitete er die Flügel aus und schraubte sich wieder hinauf zu seinem Versteck oben im Ausguck des Schiffes. Der Franzose blickte ihm ruhig nach. Der Wanderfalke hatte ihn erkannt, da war er sich ziemlich sicher. Also musste sein Wegfliegen einen anderen Grund haben.
    Er erkannte auch, welchen, als Richelieu gleich darauf wieder auftauchte und sich ein zweites Mal zu ihm gesellte. Diesmal landete er auf seinem ausgestreckten linken Arm. In seinem gebogenen Schnabel trug er einen Gegenstand. Meine Brille , erkannte der Franzose, und sein Herzschlag beschleunigte sich. Behutsam nahm er dem Vogel das schmale Gestell mit den nachtschwarz getönten Gläsern ab. Er setzte die Brille auf, und schon im nächsten Augenblick spürte er, wie ihn die Macht des magischen Artefakts zu durchströmen begann. Unwillkürlich breitete sich ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Nun würde ihm Penningtons Geist keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Endlich konnte er sich ungestört um seinen Auftrag kümmern. Jetzt bin ich wieder im Spiel …
    27. April 1897, 07:35 Uhr GMT
    England, London, Buckingham Palace
    Die halbe Nacht über hatte Feodora nicht schlafen können, und das aus verschiedenen Gründen. Zunächst hatte sie sich über Captain Connery geärgert, der sich seinerseits furchtbar über sie aufgeregt hatte, nachdem sie vollkommen verspätet wieder beim Lyceum-Theater eingetroffen war. Es mochte ja sein gutes Recht sein, einen gewissen Unmut über ihr Verhalten zu verspüren, aber ihr vor aller Augen eine derartige Szene zu machen, zeugte weder vom nötigen Anstand, den ein echter Gentleman haben sollte, noch vom Respekt, den sie von ihm erwartete. Die Kutschfahrt war in eisigem Schweigen verlaufen, und auch wenn Feodora gelinde Gewissensbisse verspürte, hatte sie es überhaupt nicht eingesehen, nach diesem Vorfall bei dem geplagten Captain um Verzeihung zu bitten.
    Kaum dass er sie beim Buckingham Palace abgeliefert hatte und mit steinerner Miene von dannen gefahren war, hatte sie sich deswegen schuldig gefühlt. Zu Beginn des Abends war er ihr gegenüber so zuvorkommend gewesen, und vermutlich hatte ihn nur die Sorge um die Frau, die ihm die Tochter Queen Victorias persönlich anvertraut hatte, dazu verleitet, die Haltung zu verlieren. Schließlich wusste er ja nicht, was wirklich vorgefallen war, sondern hatte nur festgestellt, dass Feodora nach der Theaterpause unter einer fadenscheinigen Entschuldigung spurlos verschwunden war. Diese Schuldgefühle hatten sie bis in ihre Gemächer

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