Magierdämmerung 03 - In den Abgrund
und ins Bett verfolgt.
Irgendwann gegen ein Uhr nachts waren sie von Zweifeln abgelöst worden, Zweifeln darüber, ob sie sich nicht zu einer schrecklichen Dummheit hatte hinreißen lassen. Das Gespräch mit Mister Cutler kam ihr wieder in den Sinn, und mit etwas Abstand betrachtet ergaben all seine Einwände zunehmend Sinn. Ihre Großtante würde ihr Vorhaben niemals gutheißen, und wenn Louise herausfand, dass Feodora sie belogen hatte, indem sie behauptete, eine Freundin zu besuchen, während sie in Wirklichkeit mit mehr als einem halben Dutzend wildfremder Männer an Bord eines viel zu kleinen Bootes auf eine überaus gefährliche Seereise ging, würde sich der Zorn Captain Connerys gegen den ihrer Tante wie ein laues Lüftchen gegenüber einem Gewittersturm ausmachen.
Abgesehen davon musste Feodora sich eingestehen – so sehr sie das auch ärgerte – , dass sie ein bisschen Angst vor ihrem eigenen Mut hatte. Sie beabsichtigte, die Königin des Britischen Empires zu bestehlen und ihre Unterschrift zu fälschen. Mister Peabody hatte das als Landesverrat bezeichnet. Gab es in solch einem Fall eigentlich mildernde Umstände für Familienangehörige? Direkt danach würde sie mit einer Gruppe von Männern, die sie erst seit wenigen Stunden kannte, hinaus auf See fahren. Wenn diese sich als nicht ganz so wohlmeinend erwiesen, wie sie den Anschein erweckten, würde Feodora mitten auf dem Meer weder vor ihnen fliehen können noch auf Hilfe hoffen dürfen. Und um all dem die Krone aufzusetzen, würde sie letztendlich einem Mann gegenübertreten, der den Beschreibungen der Magier zufolge vollkommen skrupellos und zudem größenwahnsinnig war, und sie würde versuchen, ihn zu überzeugen, von seinem Tun abzulassen und friedlich mit ihnen nach England zurückzukehren. Was, wenn Wellington das falsche Schreiben einfach mit kaltem Lächeln in zwei Teile zerriss und sie samt ihren Begleitern umbrachte? Heilige Mutter Gottes, vielleicht sollte ich den morgigen Tag lieber im Bett verbringen, vorgeben, krank zu sein, und Mister Cutler und seine Mitstreiter ihre Probleme alleine lösen lassen.
Doch schließlich, so gegen zwei Uhr, waren ihr Trotz und ihr Stolz wieder erwacht. Sie hatte so erbittert dafür gekämpft, Teil dieses Abenteuers sein zu dürfen. Sie hatte Cutler gesagt, dass sie aus dem starren Hofzeremoniell, das sie in Ketten legte, ausbrechen und etwas bewegen wolle, dass sie diese Reise unternehmen müsse, um zu erfahren, wer sie wirklich sei. Natürlich hatte sie mit diesen großen Worten etwas übertrieben, aber im Kern entsprachen sie schon der Wahrheit. Wenn ich mich hinter den Mauern des Buckingham Palace verstecke, werde ich genau das sein, was ich nicht mehr sein will: eine im goldenen Käfig sitzende Adlige, die ein Leben im Überfluss, aber ohne Sinn führt. Will ich aber eine Magierin werden, will ich werden wie Mister Cutler und seine Freunde, so muss ich ihnen auch zur Seite stehen, wenn sie mich brauchen! Mit dieser Erkenntnis, die zugleich ein Entschluss war, hatte sich Feodora daran gemacht, ihre nächsten Schritte zu planen – und darüber war mindestens eine weitere Stunde der Nacht verstrichen.
Sie hatte keine Ahnung, wie spät es gewesen war, als sie schließlich einschlief, aber als sie erwachte, zeigte die Uhr an der Wand bereits kurz nach halb acht am Morgen an. Ihre Hoffnung, ungesehen in die Gemächer der Königin zu gelangen, dürften sich damit zerschlagen haben. Ich wage es trotzdem, dachte sie.
Sie klingelte nach Mina und begann, sich derweil frisch zu machen. »Ich beabsichtige, für ein paar Tage aufs Land zu fahren «, erklärte sie ihrer Zofe, als diese eintraf. »Gestern im Theater habe ich eine alte Bekannte getroffen, die mich zu sich eingeladen hat. Ich werde in einer Stunde aufbrechen. Leg mir bis dahin bitte ein paar wetterfeste Reisekleider zurecht und pack einen Koffer – aber nimm den kleinen, ich brauche nicht viel. Die liebe Alice versprach mir, dass es mir bei ihr an nichts mangeln wird.«
»Jawohl, Hoheit. Ich werde gleich für uns packen.«
»Nicht für uns, Mina, nur für mich. Du begleitest mich diesmal nicht. Ich gebe dir vier Tage frei.«
»Oh.« Die junge Frau machte ein betroffenes Gesicht.
»Keine Sorge, meine Liebe.« Feodora tätschelte Minas Hand. »Ich bin nicht unzufrieden mit deiner Arbeit, falls es das ist, was du fürchtest. Ich nehme Alice nur beim Wort und möchte schauen, ob sie mich wirklich rundum versorgen wird. Also mach dir eine schöne
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