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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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sollte. Doch einem Mann gegenüberzusitzen, der kaum älter als fünfundvierzig aussah, aber angesichts seiner Behauptung mindestens zweihundertfünfzig sein musste, war schlichtweg unglaublich. Oder er tischt mir ein Märchen auf , ging es ihm durch den Sinn. Natürlich sprach er diesen Verdacht nicht laut aus. Er wollte den Holländer nicht verstimmen, kaum dass er ihn dazu bewegt hatte, etwas über seine Vergangenheit preiszugeben.
    Dieser nickte unterdessen versonnen. »Nun also, es geschah, wie gesagt, im Jahr 1685. In dieser Zeit fuhr ich für die VOC nach Ostindien, auch wenn ich kein Niederländer bin, wie Sie zweifellos bemerkt haben, sondern ein Landsmann von Ihnen. Aber die niederländische Ostindien-Kompanie zahlte besser als die englische und sie gab mir ein eigenes Schiff; das genügte mir, um meinen Patriotismus zu vergessen. Eines Nachts gerieten wir vor dem Kap der Guten Hoffnung in einen Sturm. Es war wirklich schlimm. Ich verlor mehrere Leute, die oben auf Deck treu ihren Dienst verrichteten, an die Wellen. Irgendwann vor dem Morgengrauen wurden wir zu nah an die Küste getrieben und liefen auf einen der Felsen auf, die dort knapp unter der Wasseroberfläche liegen. Ich schickte alle Männer unter Deck, um das Leck abzudichten. Nur Gamba blieb bei mir am Ruder – der Afrikaner, der gestern getötet wurde.«
    Der Holländer hielt inne und blickte aus dem Fenster seiner Kapitänskabine hinaus in den Nebel. »Und dann war da auf einmal überall dieses Licht«, fuhr er tonlos und ohne Jonathan anzusehen fort. »Zunächst dachte ich, das Schiff würde brennen, auch wenn das eigentlich vollkommen unmöglich war. Ich rannte zur Reling, um nach unten zu schauen. Überall im Wasser war dieses gelbliche Glitzern. Es schimmerte und funkelte, und Lichtfäden tanzten über den Rumpf. Es sah aus, als hätte sich direkt unter uns das Tor zum Himmel geöffnet, als wolle Er uns verdammte Seelen nach einer Nacht im Fegefeuer gnädig zu sich holen.«
    Jonathans Gegenüber schenkte ihm einen spöttischen Blick. »Natürlich war das ein frommer Trugschluss. Um es in den Worten zu sagen, die ich erst viel später lernte: Wir waren in eine plötzlich aufreißende Magiespalte geraten. Das war zum einen gut, denn sie ließ das Riff unter uns verschwinden und unser Schiff kam frei, zum anderen hingegen furchtbar, denn in dieser Nacht verlor ich bis auf Gamba und den alten Jenkins, den Ihr Franzose ebenfalls auf dem Gewissen hat, meine gesamte Mannschaft. Doch ich verlor sie nicht vollständig. Sie war noch bei mir, hatte sich nur verwandelt, in das, was Sie als das Herz des Schiffes kennengelernt haben.« Er hielt inne, und ein Schatten huschte über seine Züge. »Als ich den Raum das erste Mal zu Gesicht bekam, dachte ich, dem Wahnsinn anheimfallen zu müssen.«
    »Ich kann es mir vorstellen«, sagte Jonathan. »Es muss grausam gewesen sein.«
    »Dieses Wort beschreibt es nur sehr unzutreffend. Entsetzen, Abscheu und ein Gefühl schier unendlicher Trauer übermannten mich. Und auf einmal erklangen all diese Stimmen in meinem Kopf, die Stimmen meiner Männer, die vor Qual und Furcht schrien. Sie lebten noch, verstehen Sie, waren bei vollem Bewusstsein – als zerschmolzene Fleischklumpen, verwachsen mit den Planken des Schiffes. Am liebsten wäre ich hinauf an Deck gestürmt und hätte mich in die Fluten gestürzt, nur um diesen Anblick vergessen zu können.« Er schüttelte den Kopf, offenbar noch heute fassungslos über das, was damals geschehen war. »Allein Gamba ist es zu verdanken, dass ich von dem Vorhaben abließ. Er hielt mich fest, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Und er gab mir ein Bild, an das ich mich klammern konnte. Sie müssen wissen, Mister Kentham, dass sein Volk, die Shona, über eine höchst lebendige Geisterwelt verfügten. Die Toten sprechen zu ihnen durch sogenannte Medien. Für ihn waren unsere Kameraden gestorben, aber als Geister noch immer bei uns – und das Schiff war ihr Medium. Also schwor ich mir, das Schiff zu schützen, um ihnen das wenige Leben, das ihnen geblieben war, zu bewahren.«
    »Was hat das alles mit der Legende vom Fliegenden Holländer zu tun?«, wollte Jonathan wissen.
    »Warten Sie ab«, antwortete sein Gegenüber. »Dazu komme ich jetzt. In den nächsten Tagen begannen die Veränderungen. Sie kennen sie sicher: Man fühlt sich krank, dann beginnt sich die eigene Sicht auf die Welt zu verändern, ungeahnte Gaben erwachen im eigenen Körper. Die Magie hatte uns berührt,

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