Magierdämmerung 03 - In den Abgrund
Rinderbraten erinnert, den sie mittags zu verspeisen gedenkt. Ganz abgesehen davon gelten Satyren in der griechischen Sagenwelt auch nicht eben als Mauerblümchen.«
Kaplan Tremore räusperte sich unbehaglich, und um die Mundwinkel der Magierin zuckte es verräterisch.
»Danke, Ho… Moriarty«, knurrte Randolph. »Ihre Worte sind wie immer sehr aufbauend.« Im Geiste biss er sich auf die Zunge. Beinahe hätte ihn die ungezwungene Stimmung bei Tisch dazu verleitet, Holmes’ echten Namen zu verraten. Aufpassen, Junge, warnte er sich selbst. Wir sind nicht unter Freunden, auch wenn es so aussieht.
Diodato wurde wieder ernst. »Sie wünschten sich also nicht manchmal, dass die Magie aus Ihrem Leben verschwinden möge und Sie wieder normal sein könnten?«
Darüber hatte Randolph tatsächlich seit sehr langer Zeit nicht mehr nachgedacht. Vor beinahe dreißig Jahren, in den Wochen, die direkt auf seine Verwandlung folgten, hatte er durchaus mit seinem Schicksal gehadert. Er war jung gewesen und hatte geglaubt, die schreckliche Entstellung würde sein Leben ruinieren. Doch mit der Zeit hatte er erkannt, dass genau das Gegenteil der Fall war. Die Magie hatte ihm den Weg in eine neue Welt eröffnet, die so viel mehr zu bieten hatte, als von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang an den Docks Kisten zu schleppen und danach in die Hafenkneipe einzukehren, um zwei Pints Ale in die durstige Kehle zu schütten und dabei aus den Augenwinkeln die Rundungen der zwanzig Jahre älteren Wirtin zu bewundern. Die Magie hatte Randolphs Leben eine größere Bedeutung gegeben. Oder vielleicht war es auch nur der Mann, der mich damals aufnahm und sie mir nahebrachte. Ohne Albert Dunholm wäre vieles anders gekommen … Randolph schüttelte den Kopf und sah Diodato ruhig an. »Nein«, sagte er. »Mein Leben seit meiner Verwandlung war ein gutes Leben. Ich würde es um nichts eintauschen wollen. Die Magie ist weder Schaden noch Nutzen. Sie existiert einfach nur. Für alles andere sind wir Menschen verantwortlich.«
»Bravo, mein Freund«, tönte Holmes. »Genau meine Meinung.«
Von Stein brummte, als würde er das Ganze anders sehen. Diodato nickte nur mit einem hintergründigen Lächeln. »Ich bin gespannt, wie Sie darüber denken, wenn unsere Reise vorüber ist, Mister Brown.«
Schließlich hatten sie ihr Mahl beendet, und der Steward räumte die Essensreste ab. Bevor er jedoch den Nachtisch auftragen konnte, erschien plötzlich ein Luftschiffer in der Tür zum Salon. Er sagte etwas auf Deutsch, das Randolph nicht verstand. Die Dringlichkeit in seiner Stimme entging dem Kutscher allerdings nicht.
Von Stein erhob sich. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden, meine Herren, die Dame. Man braucht mich auf der Brücke.«
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Randolph.
»Das Unwetter scheint zu drehen. Es bedarf einer weiteren Kursanpassung.«
»Wenn Sie erlauben, würde ich Sie gerne begleiten«, sagte Scarcatore. »Ich möchte mir dieses Gewitter einmal ansehen.« Er stand ebenfalls von seinem Stuhl auf und ergriff den Koffer, den er hinter sich abgestellt hatte. Dieser Koffer war Randolph schon aufgefallen, als man sie an Bord geholt hatte. Offenbar ließ der italienische Wissenschaftler ihn nie aus den Augen.
»Wie Sie wünschen«, gab der Hauptmann zurück. Die Männer grüßten zum Abschied und gingen dann.
Kaplan Tremore schlug sich mit beiden Händen auf den ausladenden Bauch. »Die Fastenzeit ist zwar vorüber und die Verlockung groß, aber ich werde meinen Magen lieber nicht noch weiter füllen, wenn uns ein Unwetter droht. Ich denke, ich begebe mich lieber in meine Kabine und bete darum, dass dieser Kelch an uns vorübergeht.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr«, brummte Randolph.
»Oh, das hoffe ich inständig«, gab der Geistliche zurück und wandte sich zur Tür, durch die soeben der Steward mit einigen Schälchen Mousse hereinkam, nur um festzustellen, dass die Hälfte seiner Gäste mittlerweile verschwunden war. Unschlüssig blickte er auf die Verbliebenen.
»Also, ich lasse mich weder von Gott noch der Welt von diesem Genuss abhalten«, verkündete Diodato mit Blick auf den Nachtisch. »Was ist mit Ihnen, Mister Moriarty, Mister Brown?«
»Ich schließe mich gerne an«, sagte Holmes, dann warf er Randolph einen Blick zu. Seine Miene war fragend, doch in seinen Augen leuchtete es ganz kurz auf. Er war in die Wahrsicht und wieder zurück gewechselt: für Randolph das Zeichen zum Aufbruch.
Der Kutscher räusperte sich und stand
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