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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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vereinen, ohne dabei sich selbst zu verleugnen. Lionida Diodato nahm er von diesem Dilemma aus. Dass ihre Religiosität rein pragmatischer Natur war, stand für Randolph außer Frage.
    Draußen vor dem Fenster wurde Corvo größer und größer. An eine felsige Steilküste schlossen sich die grünen Wiesenhänge des erloschenen Vulkans an, von dem Scarcatore berichtet hatte. Der südwestliche Teil des Kraterrandes türmte sich zu einer einzelnen Bergkuppe auf, die geschätzte achthundert Schritt über dem offenen Meer aufragte und an deren Flanke sich weiße Dunstschwaden verfangen hatten, die den Blick auf den eigentlichen Gipfel verdeckten. Am Südzipfel der Insel sprenkelten rotbraune Hausdächer das vorherrschende Grün, und in einem kleinen Felsenhafen waren die Segel von Fischerbooten zu erkennen. Selige Abgeschiedenheit , dachte Randolph. Was wisst ihr dort unten schon von den Dingen, die in der Welt vorgehen?
    Dann runzelte er die Stirn, als ihm etwas anderes aufging. Vermutlich gab es keinen Ort auf der Welt, der näher an der Wahren Quelle der Magie lag als die Azoren im Allgemeinen und Corvo und seine Schwesterinsel Flores im Speziellen. Hoffentlich erwartet uns dort unten keine böse Überraschung …
    In Randolphs Rücken raschelte es, als Emma Potts wieder aus der Kapelle hervortrat. Sie wirkte ein wenig ruhiger als zuvor; offenbar verhalf ihr das Zwiegespräch mit ihrem Gott zu innerer Ausgeglichenheit. »Sie sollten nicht im Schiff herumlaufen, wenn Sie mir die Anmerkung erlauben«, sagte sie mit einem milde tadelnden Blick auf Randolphs bandagiertes Bein. »Ihre Wunde heilt besser, wenn Sie ihr Ruhe gönnen.«
    »Ich bin robust«, erwiderte Randolph. »Außerdem bekomme ich in diesen engen Kabinen Platzangst. Ich treibe mich lieber hier draußen herum.«
    »Von Stein hat nichts dagegen?« Obwohl Potts bei Holmes’ und seiner Gefangennahme nicht dabei gewesen war, wusste sie natürlich um den Status der beiden Männer als Gäste unter Beobachtung.
    »Zumindest hat niemand versucht, mich aufzuhalten, als ich das Krankenzimmer verlassen habe«, knurrte der Kutscher. »Das wäre ja auch noch schöner gewesen. Ich habe jetzt schon zweimal innerhalb eines Tages mitgeholfen, dieses fliegende Ungetüm vor irgendwelchen Gefahren zu retten. Langsam könnte der Bursche anfangen, uns zu vertrauen.«
    »Vertrauen Sie ihm?«
    Randolph brummte etwas Undeutliches in seinen nicht vorhandenen Bart. Natürlich vertraute er dem Deutschen nicht und der Magieragentin Diodato, mit der Holmes sein Spielchen trieb, ebenso wenig. Kurioserweise hatte er zu Emma Potts noch am ehesten Vertrauen, und dies, obwohl sie all die Jahre im Orden insgeheim einem zweiten Herrn gedient hatte.
    »Na sehen Sie«, sagte Cheltenhams ehemalige Sekretärin.
    »Es ist auch nicht so leicht in diesen Tagen«, meinte Randolph. »Unter Dunholm gehörten wir alle dem Orden des Silbernen Kreises an. Und plötzlich wendet sich die eine Hälfte gegen die andere. Und manch eine entpuppt sich gar als Dienerin einer fremden Macht.« Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu.
    »Ich sagte es doch gestern Abend schon: Ich habe den Orden nie verraten. Ich habe nur gelegentlich berichtet, worüber in den Salons gesprochen wurde und was sich an allgemeinem Tagesgeschehen zutrug.«
    »Natürlich. Und selbstverständlich hatten Sie auch ganz ohne Hintergedanken den Posten der Sekretärin des Stellvertretenden Ersten Lordmagiers inne.« Randolphs Stimme troff vor Sarkasmus.
    »Werden Sie nicht selbstgerecht«, empörte sich Potts. »Ich habe Lord Cheltenham stets geachtet, ja, sogar gemocht.« Sie brach ab, und eine Erinnerung schien vor ihrem geistigen Auge vorbeizuhuschen, denn Randolph sah, wie sie erschauerte. Auf einmal legte sich stummes Grauen über ihre Miene, und sie presste die Bibel fest an die Brust. »Wenn Sie dabei gewesen wären … «, fuhr sie deutlich leiser fort. »Wenn Sie miterlebt hätten, wie Wellington ihn bei lebendigem Leibe verbrannt hat … Was für eine Bestie muss er sein.« Mit feucht werdenden Augen sah sie Randolph unverwandt an. »Wegen Männern wie ihm diente und diene ich dem Officium. Das Officium ist nicht unser Feind. Es ist unser aller Beschützer. Es kümmert sich um Gefahren, die zu groß für uns einfache Menschen sind. Dieses Wissen, dass das Officium kommen und Wellington richten würde, gab mir die Kraft, Cheltenhams Tod durchzustehen und – viel grausamer noch – mich unmittelbar danach Wellington anzudienen, und zwar

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