Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
Vom Netzwerk:
reinigender Zorn erfüllte sie, und dazu kam eine Entschlossenheit, um die ihr früheres Ich Elisabeth sie beneidet hätte. Oder vielmehr beneidete, denn noch immer konnte sich ein Rest ihres Bewusstseins nicht von dem lösen, was sie einst gewesen war. Erinnerungen an eine blondgelockte junge Frau tauchten ungebeten in ihrem Geist auf, schlaglichtartige Vergangenheitsfragmente wie ein Picknick im Hyde-Park oder ein Besuch des Adelphi Theatre am Strand. Ein Hauch von Wehmut überkam sie. Elisabeths Leben hatte unzweifelhaft auch schöne Seiten gehabt.
    Ärgerlich schob Tisiphone die Bilder und Empfindungen beiseite. Sie wollte sich nicht damit beschäftigen. Vielmehr dürstete es sie danach, zu vollbringen, wofür sie vom Tode zurückgeholt und ein zweites Mal geboren worden war: Sie wollte Vergeltung üben, an allen, die Schuld auf sich geladen hatten. Doch dazu musste sie einen Ausweg aus diesem Zwischenreich finden. Und genau daran mangelte es in unerfreulicher Weise. Weder war sie imstande, den Tempel wiederzufinden, der doch offensichtlich einen Zugang zu diesem Ort der entfesselten Urkräfte bot, noch ein anderes Portal zu entdecken, das sie wieder auf die Erde brachte. Aber es konnte einfach nicht sein, dass sie hier auf ewig gefangen war. Es durfte nicht sein!
    Unvermittelt verspürte sie einen leichten Zug an den Spitzen ihrer Schwingen – und es fühlte sich nicht an wie der Atem des Windes oder der Druck des Donners. Das sanfte, aber beharrliche Ziehen wirkte stetiger und zugleich machtvoller, wie der Strom eines Flusses möglicherweise.
    Tisiphone hob den Kopf und sah sich suchend nach dem Ursprung dieser Kraft um. Über ihr waberte ein Meer aus roter Energie, doch irgendetwas daran kam ihr seltsam vor, anders als all das übrige Seltsame, aus dem dieser Ort bestand. Sie kniff die Augen zusammen und irgendwie gelang es ihr auf diese Weise, das Geschehen dort oben näher heranzuholen und deutlicher zu sehen. Sie gewahrte lange, diffuse Arme aus gleißend gelbem Licht, die das rote Meer durchzogen und sich spiralförmig in einem Punkt schräg vor ihr konzentrieren. Auch sie schien sich – nun, da sie es sich bewusst machte – langsam auf diesen Punkt zuzubewegen. Und je näher sie kam, desto deutlicher vermochte sie zu erkennen, dass die gelben Energiebänder offensichtlich von dem Punkt aufgesaugt wurden.
    Es ist ein Schlund , erkannte sie, ein Schlund, der das Licht verschlingt. Wo mochte es wohl hingehen? War dies nur eine weitere unbegreifliche, schrecklich-schöne Erscheinung dieses Reichs? Wurden die Lichtarme einfach auslöscht, um – wie sie selbst – in anderer Form erneut aufzuglühen? Oder liegt dort vorne womöglich ein Durchgang, eine Passage, durch die ein Teil der gewaltigen Kräfte abfließt und der auch mich mitnehmen könnte?
    Sie wusste es nicht und würde es von hier aus auch niemals erfahren. Alles, was ihr blieb, war zu hoffen – ein Gefühl, das in ihren Augen von unerfreulicher Unsicherheit war. Aber ich kann nicht endlos zwischen diesen Wolken herumirren, und tot bin ich ohnehin schon. Wenn es der Wille irgendwelcher höheren Mächte ist, dass ich lebe, dann wird da auch ein Weg sein. Ich muss es einfach wagen!
    Mit entschlossener Miene breitete Tisiphone ihre dunklen Schwingen weit aus, und sie ließ sich nicht nur von der zunehmenden Kraft des Mahlstroms treiben, nein, sie flog ihm mit wehenden Haaren und flatternden Kleiderfetzen entgegen. Wohin du auch führen magst, bring mich dorthin! , schrie sie dem Sog lautlos entgegen.
    Näher und näher kam sie dem alles verschlingenden Auge, einem vielleicht fünfzig Schritt durchmessenden Loch in der Wirklichkeit dieser Sphäre. Mittlerweile vernahm sie auch das machtvolle Rauschen der Energieströme, die von ihm angezogen wurden und in ihm verschwanden wie Wasser im Abfluss der gusseisernen Badewanne im Bad ihres einstigen Elternhauses. Tisiphone legte ihre Schwingen an, denn nun spürte sie das Zerren mit einer Gewalt, die ihren neuen, fragilen Körperauswüchsen Schaden zufügen mochte, wenn sie nicht aufpasste. Ohnehin war es mittlerweile unnötig, eigene Kraft aufzuwenden. Aus dem trägen Strom, der sie zu Beginn ergriffen hatte, war mittlerweile ein reißender Fluss geworden, der unerbittlich auf den Schlund zusteuerte. Tisiphone presste auch die Arme an den Leib und schloss die Beine, während sie mit weit aufgerissenen Augen und schnell wie ein Geschoss ihrem Ziel entgegenjagte.
    Nun gibt es kein Zurück mehr , erkannte

Weitere Kostenlose Bücher